Der Mann der nicht zu hängen war
Regierung eine Untersuchungskommission, sperrt alle Grenzen, Häfen und Flugplätze. Die Insel-Polizei wird in alle Windrichtungen geschickt mit dem Auftrag: »Bringen Sie den Duke nach London zurück! Es darf ihm kein Haar gekrümmt werden!«
Niemand ahnt, daß Seine Lordschaft zusammengerollt im Schuhschränkchen eines sonst immer sehr brav gewesenen Briefträgers außer Dienst ruht. Drei Wochen später ist die Polizei noch keinen Schritt weitergekommen. Die Zeitungen zweifeln langsam, denn sie haben das Thema voll ausgeschöpft: über Kindheit und Karriere Wellingtons, über Goya und sogar über Napoleon haben sie geschrieben. Die reinste Geschichtsstunde täglich in der TIMES. Jetzt aber bietet die Angelegenheit wirklich nichts mehr, was in irgendeiner Form journalistisch noch zu verwerten wäre. Langsam aber sicher rückt der große Held aus den Schlagzeilen auf Seite 2, von Seite 2 immer weiter nach hinten, bis schließlich nur noch an unauffälliger Stelle irgendwo gemeldet wird: »Immer noch keine Spur von Wellington.«
Die Untersuchungskommission stottert, die Kommissare und Polizisten vermeiden das Thema, sobald ein Vorgesetzter in Sicht ist. Selbst in den Pubs zucken die feinen Herren nur noch mit den Schultern. Der kleine Briefträger muß sich also etwas Neues einfallen lassen. Und wieder schreibt er einen Brief, diesmal an die National Gallery:
»Hochgeehrter Herr Direktor!
Ich habe die Ehre, Sie davon in Kenntnis zu setzen, daß ich das Gemälde vom Duke of Wellington aufbewahre und jederzeit bereit bin, es Ihnen wieder zur Verfügung zu stellen. Das Bild kostete Sie 300 000 Pfund und wurde mit den Steuergeldern der Bürger dieses Landes bezahlt. Ich wäre Ihnen persönlich sehr dankbar, wenn Sie damit einverstanden wären, diese Summe an einem Ort zu hinterlegen, den zu nennen ich mir zur gegebenen Zeit erlauben werde.
Dieses Geld möchte ich dazu verwenden, allen kleinen Rentnern wie mir zu helfen, die jährlich viel zu hohe Fernsehgebühr zu bezahlen. Es wäre meines Erachtens eine noble Tat von Ihnen, und Sie könnten mit unser aller Dankbarkeit rechnen. Ich hoffe, daß mein Vorschlag Ihnen zu denken gibt — und Ihnen vielleicht sogar gefällt. In Erwartung Ihrer geschätzten Antwort in der Anzeigen-Spalte des DAILY MIRROR, verbleibe ich, sehr geehrter Herr Direktor, mit vorzüglicher, doch leider anonymer Hochachtung. Ihr sehr ergebener...« Schade! Trotz der perfekt höflichen Konditionalform dieses Schreibens und trotz jenes ungewöhnlichen — Vorschlags oder vielleicht gerade wegen der Irrsinnigkeit des Ganzen nehmen weder der Direktor des illustren Museums noch die nicht weniger berühmte britische Polizei Notiz von dem sehr ernstgemeinten Schreiben des alten Briefträgers. Statt dessen sucht man weiter. Die Züge werden durchwühlt, die Schiffe fast auseinandergenommen, die Flugzeuge geröntgt. Nichts. Absolut nichts. Vier Jahre lang.
Wellington ruht noch immer zusammengerollt zwischen den Schuhen des in der Zwischenzeit 65 Jahre alt gewordenen Postboten.
Dann und wann holt Cornelius das Porträt heraus — damit er auch mal an die frische Luft kommt. Schließlich will er ja nicht, daß das Kunstwerk im Schrank Schaden leidet. Doch jedesmal, wenn Cornelius seinen Hausgast auseinanderrollt und auf dem Tisch ausbreitet, kommt es ihm vor, als sähe Wellington immer bleicher und verbissener aus — hier ein Fältchen, dort eine Beule. Ohne Frage, dieser längere Aufenthalt im Schrank bekommt dem Duke nicht besonders. Cornelius muß wieder etwas unternehmen.
Auch mit Hilfe des großen Strategen konnte der Briefträger also seinen Krieg gegen die BBC nicht gewinnen. Cornelius ist aber ein guter Verlierer, und da sich der Staat seines Anliegens offenbar durchaus nicht annehmen will, entschließt er sich, Wellington zurückzugeben. Und so schickt er dem DAILY MIRROR einen ganz kurzen, sehr höflichen Brief zusammen mit einem Zettel der Gepäckaufbewahrung des Birmingham-Bahnhofs, wo der Sieger von Waterloo nun geduldig auf die britische Polizei wartet.
Eine Belohnung von 5000 Pfund wurde demjenigen versprochen, der der Polizei einen Hinweis zur Wiederauffindung des Gemäldes geben würde. Cornelius beginnt also zu rechnen: Der BBC muß man pro Jahr fünf Pfund bezahlen. Mit den fünftausend Pfund könnte er also tausend Rentnern ein Jahr lang helfen. Immerhin besser als gar nichts.
Mister Cornelius Benton zieht seinen Sonntagsanzug an, seine blankpolierten Schuhe und macht sich auf den
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