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Der Mann, der sein Leben vergaß

Der Mann, der sein Leben vergaß

Titel: Der Mann, der sein Leben vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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›España‹ ging, die in wenigen Minuten in Richtung Marseille auslaufen mußte. In dem Gedränge achtete Dr. Albez nicht auf die anderen Menschen, die zwischen Kisten, Ballen, verschalten Autos und Bergen von Koffern sich zur Paßkontrolle schoben, sondern mit dem Selbstbewußtsein des geachteten Mannes schritt er an dem Kontrolleur vorbei und reichte ihm kurz seinen Paß hin.
    Der Polizist grüßte und ließ Dr. Albez passieren. In diesem Augenblick hob Primo Calbez in dem Telefonhäuschen am Kai den Hörer ab und sagte mit einer leicht ironischen Stimme:
    »Lieber Selvano – unser Vogel geht an Bord der ›España‹ in Richtung Marseille. Ich nehme an, daß er nach Sevilla will, um dort hinzugehen, wo er herkam. Was soll ich machen?«
    Antonio de Selvano lehnte sich am anderen Ende des Drahtes in seinen Sessel zurück und spielte mit dem Bleistift.
    »Sie sind ein unverbesserlicher Kauz, Calbez«, antwortete er. »Sie wissen, daß ich jede Unterstützung ablehne. Biancodero wird ein wenig in die Ferien fahren. Die Trauer strengt an! Überhaupt ein Wunder, wie Sie das wieder ausgeknobelt haben … Aber machen Sie, was Sie wollen. Am besten ist, Sie lassen Biancodero in aller Ruhe fahren und kümmern sich lieber um den Mord in der Rua Carcalla.«
    Ärgerlich hieb Primo Calbez den Hörer auf die Gabel, stieg in seinen Wagen, blickte noch einmal sehnsüchtig auf den mächtigen Leib der ›España‹, schüttelte den Kopf und brauste dann trotzig mit einem verkehrswidrigen Tempo dem Innern Lissabons zu.
    Unter mächtigem Tuten der Schiffssirenen wurde das Fallreep eingezogen, die kleinen Schlepper stießen zischend Qualm aus ihren Schloten, und langsam, gezogen von den Booten, schob sich das Riesenschiff aus dem Hafen, dem spiegelnden, weiten, in der Sonne flimmernden Atlantik entgegen.
    Oben an der Reling, auf dem Laufgang der Kabinen erster Klasse, stand Dr. Albez und blickte zurück auf die weiße, herrliche Stadt Lissabon.
    Dort, umflossen von goldener Sonne, lag der Monte do Castello. Die alte Burg stand in scharfen Konturen gegen den lichtblauen Fimmel.
    Der Monte do Castello. Und unter ihm lag ein Haus mit einem weiten, verwilderten Garten, der einmal widertönte von dem hellen jubelnden Lachen einer perlenden Stimme …
    Dr. Albez wandte sich ab und ging zurück in die Kabine. Die Arme auf die Knie gestützt und die Hände vor die Augen gelegt, saß er auf dem Bettrand und zwang sich, zu vergessen.
    Er saß noch so da, als der Steward die Kabinen abging und die Herrschaften zum Abendessen einlud.
    Er saß so die ganze Nacht …
    Als Dr. Albez, von Marseille mit dem Flugzeug kommend, in Amsterdam eintraf und verabredungsgemäß im ›Europäischen Haus‹, dem größten Hotel, abstieg, war Konsul Condes de Manolda zwar schon angemeldet, aber noch nicht aus Den Haag herübergekommen.
    Dr. Albez nahm sich ein Apartment nach der Straße zu, bezahlte für eine Woche im voraus und bat, ihn sofort bei der Ankunft des Konsuls zu verständigen. Den Boy, der die Koffer auspacken wollte schickte er mit einem guten Trinkgeld wieder weg und hängte die Anzüge selbst in den Schrank. Ganz zuletzt nahm er ein Bild Anitas in einem schweren Goldrahmen aus dem Koffer und stellte es auf den Schreibtisch des Herrenzimmers, legte einen im Foyer des Hotels gekauften Orchideenstrauß davor und nahm dann ein heißes Bad.
    Am Nachmittag dieses 29. Juni 1930 ging er grüßend an dem Portier vorbei, hinaus in den strahlenden Sonnenschein. Sein hellgrauer, nach neuester Mode geschnittener Freskoanzug und sein weißer Panamahut leuchteten noch lange auf der geraden Straße, bis er mit energischen Schritten in Richtung des Botanischen Gartens abbog.
    Unter den Bäumen des Parkes verlangsamte er seinen Schritt und bummelte vergnügt an den schönen, breiten Grachten entlang, beobachtete die Angler an den kleinen Fußgängerbrücken, das Leben in den reich dekorierten Geschäften und schlenderte dann weiter die Nieuwe Heerengracht hinab.
    Kurz am Ende der Straße, wo sie auf das Entrepot-Dock mündet und das Park-Theater steht, fühlte er plötzlich ein heftiges Unwohlsein und ein Schwindelgefühl, das ihn einen Augenblick wanken ließ. Verwundert sah er sich um, rückte den Panama ein wenig aus der Stirn und fühlte dabei, daß ihm kalter Schweiß auf der Stirn stand.
    »Zu dumm!« murmelte Dr. Albez und blieb stehen, weil sein Beine schwer wie Blei wurden und die Kniegelenke einzuknicken drohten. »Jahrelang lebt man in der größten

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