Der Mann im Karton
Lehrerinnenstimme. »Sie leidet noch unter dem Schock.
Ich hätte gedacht, daß selbst ein Mensch wie Sie, Mr. Boyd, einige Rücksicht
darauf nähme — nach all dem Schrecklichen, das ihr gestern
abend zugestoßen ist.«
»Ist es passiert, als sie schon
hier war?« fragte ich gespannt. »Oder vielleicht im Taxi?«
Ihre Lippen verzogen sich zu
einer Grimasse des Abscheus, während sie die Tür zudrückte. Ich lehnte meine
Schulter dagegen und drückte sie wieder auf.
»Mein Besuch gilt Ihnen, Helen«,
erläuterte ich. »Es ist an der Zeit, daß wir beide mal vertraulich miteinander
plaudern.«
»Ich wüßte nichts, worüber wir
zu reden hätten«, sagte sie erbost. »Wenn Sie nicht sofort verschwinden, werde
ich...«
Ich schritt an ihr vorüber ins
Wohnzimmer und setzte mich auf die Couch. Sie fummelte ein paar Sekunden
sinnlos am Türknopf herum, dann schloß sie die Tür sanft und näherte sich mir
unsicher.
»Wenn Sie auf diese Weise
erreichen wollen, doch noch zu Donna vorzudringen — nach Ihrem unmenschlichen Benehmen
letztes Mal...«
»Setzen Sie sich und lassen Sie
die Luft ab«, sagte ich rauh . »Mein Besuch gilt
Ihnen, Helen.«
»Pst!« Sie legte warnend einen
Finger auf die Lippen. »Nicht so laut. Donna schläft, und ich möchte nicht, daß
sie wach wird.«
»Okay«, sagte ich leise.
»Vielleicht hat Leutnant Chase es Ihnen gestern abend nicht verraten, aber er hat die Zahl der Verdächtigen auf drei reduziert. Alle
anderen besitzen unerschütterliche Alibis für den Zeitpunkt von Rex Tybolts Tod.«
»Nein«, flüsterte sie. »Er hat
uns nichts gesagt.«
»Earl Harvey, Kasplin — und Sie«, fügte ich hinzu.
»Ich?« Ihre blassen Wangen
färbten sich ein wenig. »Das ist ja lächerlich. Ich war die ganze Zeit in
Donnas Garderobe, das habe ich ihm doch gesagt.«
»Sie waren allein«, sagte ich.
»Niemand kann es bestätigen.«
Sie zuckte die Schultern unter
dem riesigen Kragen ihrer Bluse.
»Zwei Morde«, sagte ich
entschuldigend. »Weil soviel passiert ist, hätte ich
fast den Hund vergessen.«
»Der kleine Niki«, wisperte
sie.
»Daran sieht man, wie dumm ich
gewesen bin«, fuhr ich leise, sanft und monoton fort. »Nur weil für mich kein
Grund bestand, zu erwägen, Sie hätten beispielsweise einen Anlaß, Donna Alberta
Leid zuzufügen — nur deshalb zweifelte ich nicht an dieser hanebüchenen
Geschichte, die Sie mir über die Entführung des Hundes aufgetischt haben!«
Sie sank langsam auf die Kante
des nächsten Sessels, ihr Oberkörper neigte sich in meine Richtung, und die
Hände bargen sich krampfhaft gefaltet im Schoß.
»Ich verstehe Sie nicht, Mr.
Boyd«, flüsterte sie nervös. »Wie meinen Sie das?«
»Sie müssen sich doch
erinnern.« Ich kicherte. »An das Gefasel von dem Mann, der Sie angeblich
angerufen hat — im Auftrag Donna Albertas aus dem Theater, von wegen sie wolle Niki bei sich haben und werde einen Boten
schicken. Das mit dem Boten war noch dümmer: ein Mann in Uniform, aber Sie
erinnerten sich angeblich nicht an seine Firma oder das Aussehen der Uniform.
Sie erinnerten sich nicht einmal daran, wie der Mann aussah, ob er groß oder
klein, dick, dünn, alt oder jung war, weil er nämlich niemals existiert hat,
von Ihrer Phantasie abgesehen!«
»Ich habe die Wahrheit gesagt«,
erklärte sie heiser. »Was führen Sie gegen mich im Schilde, Mr. Boyd?«
»Ich wußte seinerzeit nicht,
was für eine Frau Donna Alberta wirklich ist«, erklärte ich kalt. »Sie ist eine
temperamentvolle Sadistin — eine wilde Salome, die jedermanns Kopf auf
silbernem Tablett serviert haben möchte. Sie wußte genau, was Sie für sie
empfanden, und sie genoß es, Sie ständig in ihrer Nähe zu haben, ganz nah und doch
Lichtjahre von jener Verbindung entfernt, nach der Sie sich sehnten. Ich nehme
an, sie hat Sie ständig mit Erzählungen aus ihrem Liebesleben gepeinigt? Donna
erreichte, daß Sie deswegen fast verrückt wurden, und als sie es sich dann
nicht verkneifen konnte, Margot Lynn ihren Paul Kendall auszuspannen, da lief
bei Ihnen das Faß über. Sie konnten es nicht mehr
ertragen. Sie mußten ihr Einhalt gebieten, ehe Kendall sie nachmittags besuchen
kam und man Sie aus der Suite verbannen würde; danach hätten Sie sich dann
wieder die detaillierten Schilderungen von Donnas Intimitäten anhören müssen.«
»Schweigen Sie!« kreischte sie
hysterisch. »Ich lasse mir das nicht länger bieten! Ich höre mir Ihre
schmutzigen, widerlichen Geschichten nicht mehr an...« Sie
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