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Meine innere Uhr weckte mich kurz nach Mitternacht mit dem starken Bedürfnis, zu Sam zu gehen.
In dem flüchtigen Moment bevor ich richtig wach war, schoss mir die Frage durch den Kopf, ob ich mich wohl unbemerkt ins Labor schleichen konnte.
Und dann fiel es mir wieder ein: Wir waren nicht mehr auf der Farm. Es gab kein Labor mehr.
Um Sam zu sehen, musste ich mich nur zur Seite drehen.
Er lag auf dem Bauch, die Hände unter das Kopfkissen geschoben. In dem schummrigen Licht konnte ich gerade so die dunklen Linien der tätowierten Birken ausmachen, die sich über seinen gesamten Rücken erstreckten, die Äste schlangen sich um seine Arme.
Ich ließ den Blick über die sanften Täler streifen, die die Muskeln und Knochen auf seiner Schulter bildeten, und überlegte, welchen Stift ich wohl gerade wählen würde, um Sam zu zeichnen. Die Wochen, die seit Sams, Nicks, Cas’ und meiner Flucht aus dem Labor der Sektion vergangen waren, hatten mir nur zu deutlich vor Augen geführt, dass nichts Bestand hatte, nicht einmal meine Erinnerungen. Deshalb genoss ich nun jeden noch so kleinen Augenblick, für den Fall der Fälle.
Bloß nichts verschwenden war mein neues Mantra. Und daran wollte ich mich halten. Besonders, was die Jungs betraf. Sie waren meine Familie, nicht vorhandene Blutsverwandtschaft hin oder her. Cas war wie ein Bruder für mich. Und in manchen Punkten galt das sogar für Nick, selbst wenn man nicht gerade behaupten konnte, dass wir uns mochten.
Und Sam … Den liebte ich mehr als alles andere.
Ich streckte eine Hand aus, um ihn zu berühren, um zu prüfen, ob er wirklich da war, sich warm und echt anfühlte, aber dann hielt ich mich doch zurück. Wir waren alle total überreizt, und ich fürchtete, wenn ich Sam nun ungewollt aufschreckte, würde er blitzschnell nach der Pistole unter der Matratze greifen. Und sie auf mich richten.
So still und leise, wie ich konnte, rutschte ich aus dem Bett, verließ das Zimmer und schlich die Treppe des gemieteten Ferienhauses hinunter. Im Wohnzimmer fand ich Nick über den Couchtisch gebeugt, ein Feuer brannte im Kamin und tauchte ihn in orangerotes Licht. Vielleicht ein Dutzend gefaltete Kraniche lagen um ihn verstreut, einen hielt er noch in der Hand.
Vor etwas über einer Woche hatte er urplötzlich damit angefangen, ohne selbst eine plausible Begründung dafür zu haben. Die ganzen Kraniche, die er in der Zwischenzeit gefaltet hatte, befanden sich in einer Schachtel unter meinem Bett, weil ich es einfach nicht übers Herz brachte, sie wegzuwerfen.
»Hallo«, sagte ich und ließ mich auf einem der schäbigen Ledersessel ihm gegenüber nieder. »Warum bist du nicht im Bett?«
Er schaute nicht einmal zu mir auf, während er antwortete. »Wieso steht man wohl mitten in der Nacht auf? Weil man nicht schlafen kann.«
»Logisch.«
Seine Augen waren vor Erschöpfung geschwollen, dunkle Ringe hatten sich darunter gebildet. Seine schwarzen welligen Haare fielen in kleinen Löckchen um seine Ohren. Die Ärmel seines grünen Flanellhemds spannten sich über seine Oberarmmuskeln, da es nicht zugeknöpft war, gab es den Blick auf seinen durchtrainierten Bauch frei.
Genau wie die anderen beiden sah Nick selbst unter den widrigsten Bedingungen immer noch umwerfend aus. Das machte mich echt wahnsinnig. Zwar würde ich von mir nicht behaupten, unattraktiv zu sein, aber im direkten Vergleich mit ihnen wirkte ich einfach furchtbar durchschnittlich. Die Möglichkeit, dass ihre Frisur mal nicht saß, existierte schlichtweg nicht.
Ich schnappte mir den Origami-Kranich, der mir am nächsten lag. Er war penibel genau gefaltet. Der Schwanz war scharf wie ein Rasiermesser. Alles an diesem Vogel war perfekt. Nick, ganz wie Cas und Sam, missglückte selten etwas.
»Hast du mittlerweile eine Ahnung, wieso du die machst?«, setzte ich an.
Nick war gerade mit dem Kopf eines weiteren Kranichs beschäftigt. »Ich weiß es nicht. Ich …« Er verstummte, als wäre er kurz davor gewesen, mir mehr zu sagen, als ihm lieb war. »Warum legst du dich nicht einfach wieder zu deinem Freund ins Bett und lässt mich in Frieden?«
Ich runzelte die Stirn. Die frühere Anna hätte sich zu diesem Zeitpunkt möglichst schnell aus dem Staub gemacht. Aber Nicks und mein Verhältnis, wenn man es denn so nennen wollte, hatte sich in den letzten paar Wochen verändert. Ich kannte Nick etwas besser, kannte die Ursache, die hinter seiner manchmal so schroffen Art steckte. Sein Vater hatte ihn
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