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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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so« sagte sie. »Du bist doch jetzt ein einflußreicher Mann geworden!« Es war nicht immer klug aus ihr zu werden.
    Der Winter hatte schon einmal begonnen und dann wieder aufgehört. Hier, außer der Stadt, gab es noch Schnee; weiße Felder und dazwischen wie dunkles Wasser die schwarze Erde. Die Sonne übergoß alles gleichmäßig. Clarisse hatte eine orangefarbene Jacke an und eine blaue Wollmütze. Sie gingen zu dritt spazieren, und Ulrich mußte ihr inmitten der wüst aufgebrochenen Natur die Schriften Arnheims erklären. Es war darin von algebraischen Reihen die Rede und von Benzolringen, von der materialistischen Geschichtsauffassung und der universalistischen, von Brückenträgern, der Entwicklung der Musik, dem Geist des Kraftwagens, Hata 606, der Relativitätstheorie, der Bohrschen Atomistik, dem autogenen Schweißverfahren, der Flora des Himalaja, der Psychoanalyse, der Individualpsychologie, der Experimentalpsychologie, der physiologischen Psychologie, der Sozialpsychologie und allen anderen Errungenschaften, die eine an ihnen reich gewordene Zeit verhindern, gute, ganze und einheitliche Menschen hervorzubringen. Aber alles das kam in einer sehr beruhigenden Weise in den Schriften Arnheims vor, denn er versicherte, daß alles, was man nicht verstehe, nur eine Ausschreitung unfruchtbarer Verstandeskräfte bedeute, während das Wahre immer das Einfache, die menschliche Würde und der Instinkt für übermenschliche Wahrheiten sei, den jeder erwerben könne, wenn er einfach lebe und mit den Sternen im Bunde sei. »Viele behaupten heute etwas Ähnliches,« erläuterte Ulrich »aber Arnheim glaubt man es, weil man sich ihn als einen großen, reichen Mann vorstellen darf, der bestimmt alles genau kennt, wovon er spricht, selbst am Himalaja war, Kraftwagen besitzt und Benzolringe trägt, so viele er will!«
    Clarisse wollte wissen, wie Benzolringe aussehen; eine unklare Erinnerung an Karneolringe leitete sie.
    »Du bist trotzdem reizend, Clarisse!« meinte Ulrich.
    »Gott sei Dank, braucht sie nicht jeden chemischen Unsinn zu verstehn!« verteidigte sie Walter; dann aber begann er die Schriften Arnheims zu verteidigen, die er gelesen hatte. Er wolle nicht sagen, daß Arnheim das Beste sei, was man sich vorzustellen vermöge, aber immerhin sei er das Beste, was die Gegenwart hervorgebracht habe; das sei neuer Geist! Zwar einwandfreie Wissenschaft, aber zugleich auch über das Wissen hinaus! So ging der Spaziergang vorbei. Das Endergebnis für alle waren nasse Füße, ein gereiztes Gehirn, als ob die dünnen, in der Wintersonne glänzenden nackten Baumäste als Splitter in der Netzhaut stecken geblieben wären, der gemeine Wunsch nach heißem Kaffee und das Gefühl menschlicher Verlorenheit.
    Verdampfender Schnee stieg von den Schuhen auf, Clarisse freute sich, weil die Stube schmutzig wurde, und Walter hielt die weiblich kräftigen Lippen die ganze Zeit über geschürzt, weil er Streit suchte. Ulrich erzählte von der Parallelaktion. Bei Arnheim kamen sie wieder in Streit.
    »Ich werde dir sagen, was ich gegen ihn habe« wiederholte Ulrich. »Der wissenschaftliche Mensch ist heute eine ganz unvermeidliche Sache; man kann nicht, nicht wissen wollen! Und zu keiner Zeit ist der Unterschied zwischen der Erfahrung eines Fachmanns und der eines Laien so groß gewesen wie in der jetzigen. An dem Können eines Masseurs oder eines Klavierspielers merkt es jeder; man schickt heute kein Pferd mehr ohne besondere Vorbereitung auf die Rennbahn. Bloß in den Fragen des Menschseins glaubt sich noch jeder zur Entscheidung berufen, und ein altes Vorurteil behauptet, daß man als Mensch geboren wird und stirbt! Weiß ich aber, daß die Frauen vor fünftausend Jahren wörtlich die gleichen Briefe an ihre Liebhaber geschrieben haben wie heute, so kann ich doch keinen solchen Brief mehr lesen, ohne mich zu fragen, ob es nicht einmal anders werden sollte!«
    Clarisse zeigte sich zum Einverständnis geneigt. Walter dagegen lächelte wie ein Fakir, der mit keiner Wimper zucken will, wenn man ihm eine Hutnadel durch die Wangen stößt.
    »Das heißt also nichts anderes, als daß du dich bis auf weiteres weigerst, ein Mensch zu sein!« warf er ein.
    »Ungefähr. Es haftet ein unangenehmes Gefühl von Dilettantismus daran!«
    »Aber ich will dir noch etwas ganz anderes zugeben« fuhr Ulrich nach einiger Überlegung fort. »Die Fachleute werden niemals fertig. Nicht nur sind sie heute unfertig; sondern sie vermögen sich die Vollendung

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