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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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|7| Kapitel 1
Aussage
    Zuzusehen, wie jemand ermordet wird, ist eine Sache; darüber zu reden, etwas völlig anderes. Als es passiert ist, hab ich gar nicht richtig kapiert, was sich da abspielt, und mein Herz hat so laut gehämmert, dass ich nichts anderes hören konnte. Meine Gedanken haben sich mit doppelter Lichtgeschwindigkeit überschlagen, mein Verstand hat fieberhaft überlegt, was ich machen soll, und versucht zu kapieren, was da überhaupt vor sich geht. Dann bin ich weggerannt, so schnell ich konnte.
    Aber jetzt sitze ich im Polizeirevier und erzähle drei Bullen, was passiert ist, und sie stellen mir so viele Fragen nach jeder Einzelheit, dass es mir vorkommt, als zeigten sie mir die ganze Geschichte noch mal in Zeitlupe. Als müsste man sich einen echt kranken Horrorfilm anschauen und darf dabei die Augen nicht zumachen. Bloß dass ich diesmal nicht wegrennen kann.
    Zweimal   – als ich ihnen erzähle, wie das Blut auf den Boden gespritzt ist und dann von den verknäulten Körpern auf dem Boden   – muss ich fast kotzen, und Nicki, das ist meine Mum, bittet sie, das Tonbandgerät auszustellen, weil ich mich vorbeuge und würge.
    |8| Nicki legt mir die Hand auf den Rücken und sagt in ihrer besten Angehende-Anwältin-Stimme: »Ist das wirklich nötig? Schließlich ist er hier, um Ihnen zu helfen. Er ist doch erst vierzehn.«
    Und der Typ, der die meisten Fragen stellt, sagt: »Wie der Junge, der gestorben ist, Miss Lewis.«
    Sie reichen mir ein Glas Wasser und dann fangen sie wieder an. Ob sie mich irgendwann gehen lassen?
    Ich muss mir haufenweise Fotos anschauen. Auf einigen sind bloß Gesichter drauf, und es ist nicht schwer, die Jungs rauszusuchen, von denen ich erzählt habe. Andere sind Nahaufnahmen der Stiche und Wunden. Aber auf den Bildern sieht es anders aus als gestern im Park. Ist das wirklich erst gestern gewesen?
    Im Park war es fast dunkel und ich hab nur ganz kurz was gesehen und gleich wieder weggeschaut. Jetzt muss ich immer wieder hinsehen und mir anschauen, wie die Haut auseinanderklafft und das rohe Fleisch rausguckt wie beim Metzger, und alles ist mit grellem Blitzlicht fotografiert, und ich weiß, dass ich den Anblick nie vergessen werde. Ich glaube, die wollen mich absichtlich schocken, damit ich irgendetwas zugebe. Sie drohen mir, ich könnte deswegen vor Gericht kommen, und sagen, dass ich auch schweigen kann. Nicki fragt noch mal: »Muss das sein? Er will Ihnen doch helfen.«
    Die Polizisten wechseln sich ab, aber einer bleibt immer da: Detective Inspector Morris. Er ist der einzige Schwarze und älter als die anderen. Er ist ruhig und überlässt es den anderen, mir immer wieder mit immer |9| lauterer Stimme dieselben Fragen zu stellen: ob ich etwas mit der Sache zu tun hätte, ob ich an dem Streit beteiligt war, ob ich gewusst habe, was vor sich ging? Wie nah war ich dran, als zugestochen wurde? Ob ich Schmiere gestanden habe?
    Nein, antworte ich mit möglichst fester Stimme. Nein, nicht nah dran. Ich war nicht dran beteiligt, bin bloß Augenzeuge. Jedes Mal, bei jeder Frage, gebe ich mir Mühe, mich zu konzentrieren. Ich gebe mir Mühe, mir nur die miteinander kämpfenden Jungen vorzustellen   – wer hat wen geschubst, wer hat zugeschlagen, wer hat wohin mit dem Messer gestoßen?
    Nachdem sie mich stundenlang ausgefragt haben und meine Fingerabdrücke und eine Speichelprobe   – »für die DNA«   – genommen haben, lassen sie Nicki und mich allein. Nicki sieht total geschlaucht aus, ihre Augen sind verquollen, und ich habe ein schrecklich schlechtes Gewissen, weil sie das alles durchmachen muss. »Tut mir echt leid, Nic«, sage ich, und sie antwortet: »Mach dir meinetwegen keine Sorgen. Du tust das Richtige.« Aber besonders überzeugt sieht sie nicht aus.
    Ein Polizist zeigt uns, wo es zur Kantine geht. »Sie haben bestimmt Hunger«, meint er, aber als wir in der Kantine ankommen, ist schon alles zu, und wir müssen uns mit den Automaten begnügen. Mein Abendessen besteht aus heißer Schokolade, Chips und uralten Keksen mit Vanillecremefüllung. Es muss gegen Mitternacht sein. Schließlich schlafe ich ein, mit dem Oberkörper auf dem Tisch und den Kopf auf den verschränkten Armen.
    |10| Als ich aufwache, sitzt DI Morris am Tisch und redet mit Nicki. Ich hebe nicht gleich den Kopf, weil ich erst hören will, was die beiden sagen.
    »Wir sind mit seiner Aussage sehr zufrieden«, sagt DI Morris.
    »Kann ich ihn jetzt mit nach Hause nehmen?«, fragt Nicki. »Er muss

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