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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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zum Beispiel die ganz Shakespeareschen Königreiche Lodomerien und Illyrien gab es längst nicht mehr und hatte es schon damals nicht mehr gegeben, als noch ein ganzer schwarz-gelber Anzug vorhanden war. Fragte man darum einen Österreicher, was er sei, so konnte er natürlich nicht antworten: Ich bin einer aus den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern, die es nicht gibt, – und er zog es schon aus diesem Grunde vor, zu sagen: Ich bin ein Pole, Tscheche, Italiener, Friauler, Ladiner, Slowene, Kroate, Serbe, Slowake, Ruthene oder Wallache, und das war der sogenannte Nationalismus. Man stelle sich ein Eichhörnchen vor, das nicht weiß, ob es ein Eichhorn oder eine Eichkatze ist, ein Wesen, das keinen Begriff von sich hat, so wird man verstehn, daß es unter Umständen vor seinem eigenen Schwanz eine heillose Angst bekommen kann; in solchem Verhältnis zu einander befanden sich aber die Kakanier und betrachteten sich mit dem panischen Schreck von Gliedern, die einander mit vereinten Kräften hindern, etwas zu sein. Seit Bestehen der Erde ist noch kein Wesen an einem Sprachfehler gestorben, aber man muß wohl hinzufügen, der österreichischen und ungarischen österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie widerfuhr es trotzdem, daß sie an ihrer Unaussprechlichkeit zugrunde gegangen ist.
    Es ist für den Fremden nicht ohne Wert, zu erfahren, in welcher Weise ein gewiegter und hochstehender Kakanier wie Graf Leinsdorf sich mit diesen Schwierigkeiten abfand. Er trennte zunächst in seinem wachenden Geist sorgfältig Ungarn ab, von dem er als weiser Diplomat niemals sprach, so wie man von einem Sohn, der sich gegen den Willen der Eltern selbständig gemacht hat, niemals spricht, wenn man auch hofft, daß es ihm noch einmal schlecht gehen werde; das Übrigbleibende aber bezeichnete er als die Nationalitäten oder auch als die österreichischen Stämme. Es war das eine sehr feinsinnige Erfindung. Se. Erlaucht hatte Staatsrecht studiert und dort als eine ziemlich über die ganze Welt verbreitete Definition gefunden, daß ein Volk nur dann Anspruch habe, für eine Nation zu gelten, wenn es eine eigene Staatsform besitze, und daraus folgte für ihn, daß die kakanischen Nationen eben höchstens Nationalitäten seien. Andererseits wußte Graf Leinsdorf, daß der Mensch erst in dem ihm übergeordneten Gemeinschaftsleben einer Nation seine volle und wahre Bestimmung finden könne, und weil er das niemand vorenthalten wissen wollte, schloß er daraus auf die Notwendigkeit, den Nationalitäten und Stämmen einen Staat überzuordnen. Er glaubte überdies an eine göttliche Ordnung, wenn diese auch für das menschliche Auge nicht jederzeit durchsichtig sei, und in den revolutionär modernen Stunden, die er manchmal hatte, war er sogar zu dem Gedanken imstande, daß die in der Neuzeit so sehr bekräftigte Idee des Staats vielleicht nichts anderes sein könnte als die von Gott eingesetzte Idee der Majestät, in einer eben erst beginnenden verjüngten Erscheinungsform. Wie dem immer sei – als Realpolitiker lehnte er zu weit getriebenes Denken ab und würde sich auch mit Diotimas Auffassung abgefunden haben, daß die Idee des kakanischen Staats die gleiche sei wie die des Weltfriedens –, die Hauptsache war, daß es einen kakanischen Staat nun einmal gab, wenn auch ohne richtigen Namen, und daß ein kakanisches Staatsvolk dazu erfunden werden mußte. Er pflegte das durch das Beispiel zu verdeutlichen, daß niemand ein Schüler sei, der nicht in eine Schule gehe, daß die Schule aber eine Schule bleibe, auch wenn sie leer stehe. Je mehr sich die Völkerschaften gegen die kakanische Schule sträubten, die aus ihnen ein Volk machen sollte, desto notwendiger erschien ihm gegebenermaßen die Schule. Sie betonten kräftig, daß sie Nationen seien, verlangten verlorengegangene historische Rechte zurück, liebäugelten mit Stammesbrüdern und -verwandten jenseits der Grenzen und nannten das Reich ganz öffentlich ein Gefängnis, aus dem sie erlöst sein wollten. Graf Leinsdorf dagegen nannte sie desto beschwichtigender Stämme; er betonte ebenso sehr wie sie selbst das Unfertige ihres Zustandes, nur wollte er ihn ergänzen, indem er aus den Stämmen das österreichische Staatsvolk erzeugte, und was nicht zu seinem Plan paßte oder gar zu aufgewiegelt war, erklärte er sich in der an ihm schon bekannten Weise als Folgen noch nicht überwundener Unreife und hielt dafür, daß gegen solches am besten eine weise Mischung aus kluger

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