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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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zurückweisen sollen, fühlte sich aber recht sonderbar bewegt und schwieg; erst nach einer Weile entgegnete sie: »Seine Freundschaft macht mich sehr glücklich.«
    »Ich hatte den Eindruck, daß Sie seine Freundschaft etwas quält.«
    »Oh, was Sie sagen!?« Diotima richtete sich auf und war wieder Dame. »Wissen Sie, wer mich quält?« fragte sie und war bemüht, den Ton einer leichten Unterhaltung zu finden »Ihr Freund, der General! Was will dieser Mensch? Warum kommt er her? Warum starrt er mich immer an?«
    »Er liebt Sie!« entgegnete der Vetter.
    Diotima lachte nervös. Sie setzte fort: »Wissen Sie, daß ich vom Kopf bis zum Fuß erschauere, wenn ich ihn sehe? Er erinnert mich an den Tod!«
    »Ein ungewöhnlich lebensfreundlich aussehender Tod, wenn man ihn unbefangen betrachtet!«
    »Ich bin offenbar nicht unbefangen. Ich kann es mir nicht erklären. Aber mich ergreift eine Panik, wenn er mich anspricht und mir auseinandersetzt, daß ich ‚hervorragende‘ Ideen bei einer ‚hervorragenden‘ Gelegenheit ‚hervorragen‘ mache. Mich beschleicht eine unbeschreibliche, unbegreifliche, traumhafte Angst!«
    »Vor ihm?«
    »Wovor sonst?! Er ist eine Hyäne!«
    Der Vetter mußte lachen. Sie schmälte hemmungslos wie ein Kind weiter. »Er schleicht herum und wartet, bis unsere schönen Bemühungen tot zusammenbrechen werden!«
    »Und wahrscheinlich ist es das, was Sie fürchten! Große Kusine, erinnern Sie sich daran, daß ich Ihnen diesen Zusammenbruch seit je vorhergesagt habe? Er ist unvermeidlich; Sie müssen sich auf ihn gefaßt machen!«
    Diotima sah Ulrich hoheitsvoll an. Sie erinnerte sich recht gut; mehr als das, sie erinnerte sich in diesem Augenblick an die Worte, die sie zu ihm gesagt hatte, als er seinen ersten Besuch machte, und diese waren wohlgeeignet, sie jetzt zu schmerzen. Sie hatte ihm vorgehalten, daß es ein großer Vorzug sei, eine Nation, ja eigentlich die Welt aufrufen zu dürfen, damit sie sich inmitten der Materie auf den Geist besinne. Sie hatte nichts Verbrauchtes, Altgeistiges gewollt; dennoch war der Blick, mit dem sie heute ihren Vetter ansah, eher schon überhoben zu nennen, als noch überheblich. Sie hatte ein Weltjahr erwogen, einen Aufschwung, einen krönenden Kulturinhalt gesucht; sie war bald nahe daran gewesen, bald wieder weit weg; sie hatte viel geschwankt und viel gelitten; die letzten Monate kamen ihr vor, wie eine lange Überfahrt, wo man von Wogen ungeheuer gehoben und fallen gelassen wird, die sich in gleicher Weise wiederholen, so daß sie, was früher oder später war, kaum noch unterscheiden konnte. Nun saß sie hier, wie ein Mensch, der nach ungeheuren Anstrengungen auf einer Bank sitzt, die sich, Gott sei Dank, nicht bewegt, und augenblicklich nichts tun will, als etwa dem Rauch seiner Pfeife nachzuschaun; ja so lebhaft beherrschte eine solche Stimmung Diotima, daß sie selbst diesen Vergleich wählte, der an einen alten Mann im Spätsonnenschein erinnerte. Sie kam sich wie ein Mensch vor, der große, leidenschaftliche Kämpfe hinter sich hat. Mit einer müden Stimme sprach sie zu ihrem Vetter: »Ich habe sehr viel mitgemacht; ich habe mich sehr verändert.«
    »Wird es mir zugute kommen?« fragte der.
    Diotima schüttelte den Kopf und lächelte, ohne ihn anzusehn.
    »Dann will ich Ihnen verraten, daß Arnheim hinter dem General steckt, nicht ich; Sie haben ja doch die Schuld an seinem Vorhandensein allezeit nur mir gegeben!« sagte Ulrich plötzlich. »Erinnern Sie sich aber, was ich Ihnen geantwortet habe, als Sie mich deshalb zur Rede stellten?«
    Diotima erinnerte sich. Fernhalten, hatte der Vetter gesagt. Aber Arnheim, der hatte gesagt, sie solle den General nur freundlich aufnehmen! Sie fühlte in diesem Augenblick etwas, das ließ sich nicht beschreiben; so, als ob sie in einer Wolke säße, die ihr rasch über die Augen stieg. Aber gleich war das Bänkchen unter ihr wieder hart und fest, und sie sagte: »Ich weiß nicht, wie dieser General zu uns gekommen ist, ich selbst habe ihn nicht eingeladen. Und Doktor Arnheim, den ich gefragt habe, weiß selbstverständlich auch nichts davon. Es muß irgendein Versehen unterlaufen sein.«
    Der Vetter lenkte nur wenig ein. »Ich kenne den General von früher, aber wir haben uns zum erstenmal wieder bei Ihnen gesehn« erklärte er. »Es ist natürlich sehr wahrscheinlich, daß er hier im Auftrag des Kriegsministeriums ein wenig herumspioniert, aber er möchte Ihnen auch ehrlich helfen. Und ich habe es aus seinem

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