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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Mund, daß sich Arnheim auffallend viel Mühe mit ihm gibt!«
    »Weil Arnheim an allem Teil nimmt!« entgegnete Diotima. »Er hat mir geraten, den General nicht zurückzustoßen, da er an seinen guten Willen glaubt und in seiner einflußreichen Stellung eine Gelegenheit sieht, unseren Bestrebungen zu nützen.«
    Ulrich schüttelte heftig den Kopf. »Hören Sie sich das Gegacker rings um ihn an!« sagte er so unvermittelt, daß die Umstehenden es hören konnten und die Hausfrau in Verlegenheit geriet. »Er läßt es sich gefallen, weil er reich ist. Er hat Geld, gibt allen recht und weiß, daß sie freiwillig Reklame für ihn machen!«
    »Warum sollte er das denn tun?!« erwiderte Diotima ablehnend.
    »Weil er eitel ist!« fuhr Ulrich fort. »Maßlos eitel! Ich weiß nicht, wie ich Ihnen den ganzen Inhalt dieser Behauptung begreiflich machen soll. Es gibt eine Eitelkeit im biblischen Sinn: man macht aus der Leere eine Schelle! Eitel ist ein Mensch, der sich beneidenswert vorkommt, wenn zu seiner Linken der Mond über Asien aufgeht, während zu seiner Rechten Europa im Sonnenuntergang verdämmert; so hat er mir einmal eine Reise über das Marmarameer beschrieben! Wahrscheinlich geht der Mond hinter dem Blumentopf eines verliebten kleinen Mädchens schöner auf als über Asien!«
    Diotima suchte nach einem Platz, wo man nicht von den Leuten, die herumstreiften, gehört würde. Sie sagte leise: »Sie sind durch seinen Erfolg gereizt« und leitete ihn durch die Zimmer; dann richtete sie es mit einer klugen Bewegung so ein, daß sie unauffällig durch die Türe schritten und ins Vorzimmer traten. Alle anderen Räume waren von Gästen besetzt. »Warum« hub sie dort an »sind Sie ihm feindlich gesinnt? Sie bringen mich dadurch in Schwierigkeiten.«
    »Ich bringe Sie in Schwierigkeiten?« fragte Ulrich erstaunt.
    »Es könnte mich doch vielleicht verlangen, mich mit Ihnen auszusprechen? Aber solange Sie sich so verhalten, darf ich Ihnen nichts anvertraun!«
    Sie war in der Mitte des Vorzimmers stehengeblieben. »Bitte, vertrauen Sie mir ruhig an, was Sie zu sagen haben« bat Ulrich. »Sie haben sich ineinander verliebt, das weiß ich. Wird er Sie heiraten?«
    »Er hat es mir angetragen« erwiderte Diotima, ohne Rücksicht auf den unsicheren Platz, wo sie sich befanden. Sie war von ihren eigenen Gefühlen überwältigt und stieß sich nicht an ihres Vetters unziemlicher Geradheit.
    »Und Sie?« fragte dieser.
    Sie wurde rot wie ein ausgefragtes Schulkind. »Oh, das ist eine Frage voll schwerer Verantwortung!« entgegnete sie zögernd. »Man darf sich zu keiner Ungerechtigkeit hinreißen lassen. Bei wirklich großen Erlebnissen kommt es auch nicht so sehr darauf an, was man tut!«
    Diese Worte waren Ulrich unverständlich, da er die Nächte nicht kannte, in denen Diotima die Stimme der Leidenschaft überwand und bis zur reglosen Gerechtigkeit der Seelen gelangte, deren Liebe wie ein nach zwei Seiten ausgerichteter Wagbalken schwebt. Darum hatte er den Eindruck, daß es vorläufig besser sei, den schnurgeraden Weg der Aussprache zu verlassen, und er sagte: »Ich möchte über mein Verhältnis zu Arnheim gern mit Ihnen sprechen, weil es mir unter diesen Umständen leid tut, daß Sie den Eindruck von Feindseligkeit haben. Ich glaube Arnheim gut zu verstehen. Sie müssen sich vorstellen: Was sich in Ihrem Haus vollzieht, ich will es nach Ihrem Wunsch eine Synthese nennen, das hat er schon unzähligemale mitgemacht. Die geistige Bewegung, wo sie in der Form von Überzeugungen auftritt, tritt sogleich auch in der Form entgegengesetzter Überzeugungen auf. Und wo sie sich in einer sogenannten großen geistigen Persönlichkeit verkörpert, dort fühlt sie sich so unsicher wie in einer ins Wasser geworfenen Pappschachtel, sobald dieser Persönlichkeit nicht freiwillig von allen Seiten Bewunderung erwiesen wird. Wir sind, wenigstens in Deutschland, von der Liebe zu anerkannten Persönlichkeiten wie die Betrunkenen gerührt, die einem neuen Mann um den Hals fallen und ihn aus ebenso dunklen Gründen nach einer Weile umstoßen. Ich kann mir also lebhaft vorstellen, was Arnheim empfindet: Es muß wie eine Seekrankheit sein; und wenn er sich in solcher Umgebung erinnert, was man mit Reichtum, durch geschickte Anwendung, ausrichten kann, so hat er nach langer Wasserreise zum erstenmal wieder festen Boden unter den Füßen. Er wird bemerken, wie Vorschlag, Anregung, Wunsch, Bereitwilligkeit, Leistung in die Nähe des Reichtums streben, und

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