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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Edelsinn und Schurkerei, Heimat, Treue und Männerkraft ausstatteten, die ungefähr der überall vorherrschenden Art von Belesenheit entsprechen. Graf Leinsdorf, welcher der Literatur kein Gewicht beimaß, kam nicht aus dem Staunen darüber heraus, zumal wenn er bedachte, wie gut es im Grunde allen Bauern, Handwerkern und Städtern ging, die ihm auf seinen Reisen in seinen von Deutschen und Tschechen besiedelten böhmischen Gutsbereichen unter die Augen kamen, und er führte es darum auf ein besonderes Virus zurück, auf verabscheuungswürdige Verhetzung, daß sie von Zeit zu Zeit in stürmische Unzufriedenheit gegen einander und die Weisheit der Regierung ausbrachen, was umso unbegreiflicher erschien, als sie in den großen Zwischenzeiten solcher Anfälle und wenn sie eben nicht an ihre Ideale erinnert wurden, friedlich und zufrieden mit jedermann auskamen.
    Die dagegen angewandte Politik des Staats, eben jene bekannte Nationalitätenpolitik Kakaniens, lief aber darauf hinaus, daß in ungefähr halbjährlichem Wechsel die Regierung bald strafend gegen irgendeine unbotmäßige Nationalität vorging, bald weise vor ihr zurückging, und wie in einem Schenkelglas die eine Hälfte steigt, wenn die andere sinkt, entsprach dem das Verhalten gegen die deutsche »Nationalität«. Diese hatte in Kakanien eine besondere Rolle inne, denn sie hatte in ihrer Masse eigentlich immer nur das eine gewollt, daß der Staat stark sei. Sie hatte am längsten den Glauben festgehalten, daß die kakanische Geschichte doch irgendeinen Sinn haben müsse, und erst allmählich, als sie begriff, daß man in Kakanien als Hochverräter anfangen und als Minister enden, aber auch umgekehrt seine Ministerlaufbahn wieder als Hochverräter fortsetzen könne, begann auch sie sich als unterdrückte Nation zu fühlen. Vielleicht hat es Ähnliches nicht nur in Kakanien gegeben, aber das diesem Staat Eigentümliche war, daß es dort keinerlei Revolutionen und Umstürze dazu bedurfte, weil alles mit der Zeit anfing, in einer natürlichen, ruhig pendelnden Entwicklung vor sich zu gehen, einfach kraft der Unsicherheit der Begriffe, und zum Schluß gab es in Kakanien nur noch unterdrückte Nationen und einen obersten Kreis von Personen, die die eigentlichen Unterdrücker waren und sich maßlos von den Unterdrückten gefoppt und geplagt fühlten. In diesem Kreis war man tief bekümmert darüber daß nichts geschehe, sozusagen über einen Mangel an Geschichte, und war fest überzeugt, daß endlich einmal etwas geschehen müßte. Und wenn es sich gegen Deutschland richtete, wie das die Parallelaktion mit sich bringen zu wollen schien, so hielt man es nicht einmal für unwillkommen, denn erstens fühlte man sich durch die Brüder im Reich immer etwas beschämt und zweitens fühlte man doch in den regierenden Kreisen selbst deutsch und konnte die überparteiliche Aufgabe Kakaniens gar nicht besser hervorkehren als auf solche selbstlose Weise.
    Es war also vollauf begreiflich, daß Se. Erlaucht unter diesen Umständen nicht im entferntesten auf den Einfall kam, sein Unternehmen für pangermanisch zu halten. Aber daß es dafür galt, ging daraus hervor, daß unter den »ressortzuständigen Volksteilen«, deren Wünsche von den Ausschüssen der Parallelaktion erfaßt werden sollten, die slawischen Stämme mit der Zeit zu fehlen begannen, und die fremden Botschafter hörten allmählich so schreckliche Nachrichten über Arnheim, Sektionschef Tuzzi und einen deutschen Anschlag gegen das Slawentum, daß davon in der gedämpften Form des Gerüchts auch Sr. Erlaucht etwas zu Ohren kam, und es bestätigte seine Befürchtung, daß man sich auch anlagen, wo nichts Besonderes geschehe, dadurch daß man vieles nicht tun dürfe, in schwieriger Tätigkeit befinde. Aber da er Realpolitiker war, zögerte er nicht mit einem Gegenzug, und leider unterlief ihm dabei eine so großzügige Berechnung, daß sie anfangs den Anschein eines staatskünstlerischen Fehlers annahm. Die Spitze des Propagandakomitees – das war jener Ausschuß, dessen Aufgabe es bildete, die Parallelaktion volkstümlich zu machen – war nämlich damals noch nicht besetzt, und Graf Leinsdorf faßte den Entschluß, Baron Wisnietzky dafür zu erwählen, wobei er seine Überlegung eigens darauf aufbaute, daß Wisnietzky, der vor etlichen Jahren Minister gewesen war, einem Kabinett angehört hatte, das von den deutschen Parteien gestürzt wurde und in dem Rufe stand, eine hinterhältige deutschfeindliche Politik

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