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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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sagen, obgleich sprachlich gar nichts dagegen einzuwenden wäre.
    Trotzdem nannten sich die unter Kakaniens Krone vereinigten Völker unerlöste Nationen!
    General Stumm von Bordwehr überlegte. Durch seine Stellung im Kriegsministerium besaß er genügende Kenntnisse von den nationalen Schwierigkeiten, an denen Kakanien litt, denn das Militär bekam bei den Budgetverhandlungen die daraus folgende schwankende und von hunderterlei Rücksichten beeinflußte Politik zu allererst zu fühlen, und erst vor kurzem hatte man zum blassen Ärger des Ministers eine dringliche Militärvorlage zurückziehen müssen, weil eine unerlöste Nation für die Bewilligung der dazu nötigen Mittel nationale Zugeständnisse verlangt hatte, welche die Regierung unmöglich gewähren konnte, ohne das Erlösungsbedürfnis anderer Nationen zu überreizen. So blieb Kakanien ungeschützt gegen den äußeren Feind; denn in Frage stand eine große Artillerievorlage, um die völlig veralteten Geschütze des Heeres, die sich an Tragweite zu den Geschützen anderer Staaten wie ein Messer zu einer Lanze verhielten, durch neue Geschütze zu ersetzen, die sich zu denen der anderen nun wie eine Lanze zu einem Messer verhalten sollten, und das war wieder einmal für unabsehbare Zeit verhindert worden. Es ließe sich nicht sagen, daß General von Stumm deshalb Selbstmordstimmungen gehabt hätte, aber mächtige Verstimmungen können sich ja zunächst auch in vielen, scheinbar zerstreuten Kleinigkeiten äußern, und es hing gewiß mit der Wehr- und Waffenlosigkeit Kakaniens zusammen, zu der es durch seinen unleidlichen inneren Hader verurteilt wurde, daß Stumm über das Unerlöste und das Erlösen nachdachte, zumal er auch in seiner halbzivilen Tätigkeit bei Diotima das Wort Erlösung seit einiger Zeit bis zur Unausstehlichkeit zu hören bekam.
    Seine erste Ansicht war, daß es einfach zu der sprachwissenschaftlich nicht ganz durchleuchteten Gruppe der »geschwollenen Worte« gehöre. Das sagte ihm sein natürlicher Soldatensinn; aber abgesehen davon, daß dieser durch Diotima verwirrt worden, – denn Stumm hatte doch das Wort Erlösen zum erstenmal aus ihrem Mund gehört und war sehr entzückt gewesen, und heute noch war das Wort von dieser Seite her, trotz der Artillerievorlage, von einem holden Zauber umweht, so daß also des Generals erste Ansicht eigentlich schon die zweite seines Lebens war! – schien die Theorie der Wortgeschwulst auch aus einem anderen Grund nicht zu stimmen: man brauchte die Individuen der Wortgruppe Erlösen ja bloß mit einem kleinen, liebenswürdigen Mangel an Ernst auszustatten, so kamen sie augenblicklich spielend über die Zunge. »Du hast mich wirklich erlöst!« oder dergleichen: wer würde das nicht schon gesagt haben, sofern dem bloß zehn Minuten ungeduldigen Wartens oder eine andere Unannehmlichkeit von eben so kleinem Format vorangegangen ist? Und dadurch wurde dem General klar, daß es gar nicht so sehr die Worte sind, woran der gesunde Sinn Anstoß nimmt, als der durch sie unglaubwürdig versicherte Ernst des Zustandes. Und wirklich, wenn Stumm sich fragte, wo er, außer bei Diotima und in der Politik, schon von Erlösen habe reden hören, so war das in Kirchen und Kaffeehäusern geschehn, in Kunstzeitschriften und in den Büchern von Arnheim, die er mit Bewunderung gelesen hatte. Es wurde ihm auf diese Art deutlich, daß es nicht ein natürliches, einfaches und menschliches Geschehen ist, was mit solchen Worten ausgedrückt wird, sondern irgendeine abstrakte und allgemeine Verwicklung; Erlösen und nach Erlösung Bangen ist auf jede Weise anscheinend etwas, das nur einem Geist von einem anderen Geist angetan werden kann.
    Der General nickte mit dem Kopf vor Staunen über die fesselnden Einblicke, zu denen ihn seine dienstliche Aufgabe führte. Er stellte die elektrisch betriebene rund geschliffene Glasscheibe über der Türe seines Büros auf Rot, zum Zeichen, daß er eine wichtige Konferenz habe, und während seine Offiziere mit ihren Aktenmappen seufzend vor der Schwelle kehrtmachten, fuhr er in seinen Überlegungen fort. Die geistigen Menschen, die er jetzt auf allen seinen Wegen traf, waren nicht befriedigt. Sie hatten an allem etwas auszusetzen, überall geschah ihnen zuwenig oder zuviel, niemals schienen in ihren Augen die Dinge zu stimmen. Nachgerade waren sie ihm zuwider geworden. Sie glichen den unglücklichen empfindlichen Leuten, die immer dort sitzen, wo es zieht. Sie schimpften auf die

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