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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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zusammenzufassen, ist bloß etwas, das zum ältesten psychotechnischen Besitzstand des Lebens gehört. So zog der Zauberer den sorgsam vorbereiteten Fetisch aus dem Leib des Kranken, und so verlegt der gute Christ seine Fehler in den guten Juden und behauptet, daß er durch ihn zu Reklame, Zinsen, Zeitungen und ähnlichem verleitet worden sei; man hat im Lauf der Zeiten den Donner, die Hexen, die Sozialisten, die Intellektuellen und die Generale verantwortlich gemacht, und in den letzten Zeiten vor dem Krieg ist auch, aus Sondergründen, die daneben ganz verschwinden, eines der großartigsten und beliebtesten Mittel in diesem wunderlichen Vorgang Preußen-Deutschland gewesen. Der Welt ist eben nicht nur Gott abhanden gekommen, sondern auch der Teufel. So wie sie das Böse in Unwunschbilder verlegt, verlegt sie das Gute in Wunschbilder, die sie dafür verehrt, daß sie das tun, was man in eigener Person untunlich findet. Man läßt andere Leute sich anstrengen, während man auf einem Sitzplatz zuschaut, das ist der Sport; man läßt Leute die einseitigsten Übertreibungen reden, das ist der Idealismus; man schüttelt das Böse ab und die davon bespritzt werden, das sind die Unwunschbilder. So findet alles seinen Ort in der Welt und seine Ordnung; aber diese Technik der Heiligenverehrung und Sündenbockmast durch Entäußerung ist nicht ungefährlich, denn sie füllt die Welt mit den Spannungen aller unausgetragenen inneren Kämpfe. Man schlägt sich tot oder verbrüdert sich und kann nicht recht wissen, ob man es in vollem Ernst tut, weil man ja einen Teil von sich außer sich hat, und es scheinen sich alle Geschehnisse halb vor oder hinter der Wirklichkeit als eine Spiegelfechterei des Hasses und der Liebe zu vollziehen. Der alte Dämonenglaube, der für alles Gute und Böse, das man zu spüren bekam, himmlisch-höllische Geister verantwortlich machte, hat viel besser, genauer und sauberer gearbeitet, und man kann nur hoffen, daß wir mit fortschreitender Entwicklung der Psychotechnik wieder zu ihm zurückkehren werden.
    Besonders Kakanien war für den Umgang mit Wunsch- und Unwunschbildern ein ungemein geeignetes Land; das Leben hatte dort ohnehin etwas Unwirkliches, und es erschien gerade den geistig vornehmsten Kakaniern, die sich als die Erben und Träger der berühmten, von Beethoven bis zur Operette führenden kakanischen Kultur fühlten, als ganz natürlich, daß man mit den Reichsdeutschen verbündet und verbrüdert war und sie nicht ausstehen konnte. Man gönnte ihnen eine kleine Zurechtweisung und war, wenn man an ihre Erfolge dachte, immer ein wenig bekümmert über die heimatlichen Zustände. Diese heimatlichen Zustände bestanden aber in der Hauptsache darin, daß Kakanien, ein Staat, der ursprünglich so gut wie jeder und besser als mancher andere gewesen war, im Lauf der Jahrhunderte ein wenig die Lust an sich selbst verloren hatte. Es konnte im Verlaufe der Parallelaktion schon einigemal bemerkt werden, daß Weltgeschichte gemacht wird wie andere Geschichten auch; das heißt, den Autoren fällt selten etwas Neues ein und sie schreiben, was die Verwicklungen und die Ideen angeht, gerne voneinander ab. Dazu gehört aber noch etwas, was bisher nicht erwähnt worden, und das ist nichts anderes als die Freude an der Geschichte; es gehört jene den Autoren so geläufige Überzeugung hinzu, daß man eine gute Geschichte mache, die Leidenschaft des Autors, die seine Ohren glühend verlängert und jede Kritik einfach wegschmilzt. Graf Leinsdorf besaß diese Überzeugung und Leidenschaft, und auch in seiner Freundschaft war sie noch zu finden, aber im weiteren Kakanien hatte sie sich verloren, und man hatte sich längst nach einem Ersatz umgesehn. Es war dort an Stelle der Geschichte Kakaniens die der Nation getreten, an der man dichtete, und man bearbeitete sie ganz in jenem europäischen Geschmack, der sich an historischen Romanen und Kostümdramen erbaut. So ereignete sich das Merkwürdige und vielleicht doch noch nicht richtig Gewürdigte, daß Menschen, die irgendeine ganz gewöhnliche Angelegenheit miteinander zu erledigen hatten, wie die Errichtung einer Schule oder die Besetzung eines Bahnhofvorstandpostens, dabei auf das Jahr 1600 oder 400 zu sprechen kamen, darüber stritten, welcher Bewerber vorzuziehen sei, wenn man die Besiedlung der Voralpen in der Völkerwanderung sowie die Schlachten der Gegenreformation berücksichtige, und daß sie diese Auseinandersetzungen mit jenen Vorstellungen von

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