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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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sehr oft vor den Spiegel wie ein Vogel, der sein Gefieder zurechtschüttelt. Sie band, brannte und wand dann ihr Haar, bis es eine Form annahm, die Diotimas griechischem Knoten nicht unähnlich sah. Sie strich und bürstete kleine Locken hervor, und wenn das Ganze auch ein wenig lächerlich wurde, sie bemerkte es nicht, denn aus dem Spiegel lächelte ihr ein Antlitz entgegen, das in seiner allgemeinen Gestaltung nun von ferne an die Göttliche erinnerte. Die Sicherheit und Schönheit eines Wesens, das von ihr bewundert wurde, und sein Glück stiegen dann in den kleinen, seichten, warmen Wellen einer geheimnisvollen, wenn auch noch nicht tief vollzogenen Vereinigung in ihr empor, gleichwie man am Rand eines großen Meeres sitzt und die Füße ins Wasser stellt. Dieses einer religiösen Verehrung ähnliche Verhalten – denn von den Göttermasken, in die der Mensch in ursprünglichen Zuständen mit seinem ganzen Körper hineinkriecht, bis zu den Zeremonien der Zivilisation hat solches das Fleisch ergreifende Glück der gläubigen Nachahmung niemals seine Bedeutung ganz ausgespielt! – wurde über Bonadea noch dadurch mächtig, daß sie Kleider und Äußerlichkeiten mit einer Art Zwang liebte. Wenn Bonadea sich in einem neuen Kleid im Spiegel betrachtete, so hätte sie sich niemals vorzustellen vermocht, daß eine Zeit kommen könne, wo man etwa, statt Schinkenärmeln, gekräuselten Stirnlöckchen und langen Glockenröcken, Knieröckchen und Knabenhaar tragen werde. Sie hätte die Möglichkeit auch nicht bestritten, denn ihr Gehirn wäre einfach nicht imstande gewesen, eine solche Vorstellung aufzunehmen. Sie hatte sich immer so gekleidet, wie man als vornehme Frau aussehen mußte, und empfand jedes Halbjahr vor der neuen Mode eine Ehrfurcht wie vor der Ewigkeit. Würde man ihrer Überlegungsfähigkeit das Zugeständnis der Vergänglichkeit abgezwungen haben, so hätte auch das ihre Ehrfurcht nicht im geringsten vermindert. Sie nahm den Zwang der Welt rein in sich auf, und die Zeiten, wo man die Besuchskarten an einer Ecke umbog oder seinen Freunden Neujahrswünsche ins Haus schickte oder auf dem Ball die Handschuhe abstreifte, lagen in den Zeiten, wo man das nicht tat, so weit hinter ihr wie für jeden andern Zeitgenossen die Zeit vor hundert Jahren, nämlich ganz und gar im Unvorstellbaren, Unmöglichen und Überholten. Darum war es auch in solchem Grade komisch, Bonadea ohne Kleider zu sehn; sie war dann gänzlich auch jedes ideellen Schutzes entkleidet und die nackte Beute eines unerbittlichen Zwangs, der so unmenschlich wie ein Erdbeben über sie herfiel.
    Dieser periodische Untergang ihrer Kultur in den Umschwüngen einer dumpfen Stoffwelt hatte sich aber jetzt verloren, und seit Bonadea so geheimnisreiche Sorgfalt auf ihr Aussehen verwandte, lebte sie, was seit ihrem zwanzigsten Jahr nicht mehr geschehen war, den illegiti men Teil ihres Lebens als Witwe. Wohl kann man es als eine allgemeine Erfahrung hinnehmen, daß Frauen, die übergroße Sorgfalt auf ihr Aussehen verwenden, verhältnismäßig tugendhaft sind, denn das Mittel verdrängt dann den Zweck, genau so wie große Sporthelden oft schlechte Liebhaber abgeben, gar zu martialisch aussehende Offiziere schlechte Soldaten und besonders durchgeistigte Männerköpfe manchmal sogar Dummköpfe sind; aber bei Bonadea handelte es sich nicht nur um diese Frage der Energieverteilung, sondern sie hatte sich mit einer ganz überraschenden Überergiebigkeit ihrem neuen Leben zugewandt. Sie zog mit der Liebe eines Malers ihre Augenbrauen nach, emaillierte sich ein wenig an Stirn und Wangen, so daß diese aus dem Naturalismus zu jener leichten Überhöhung und Entfernung von der Wirklichkeit gelangten, die dem sakralen Stil eigentümlich ist, der Körper wurde im weichen Korsett zurechtgerüttelt, und für die großen Brüste, die ihr sonst immer etwas hinderlich und beschämend, weil allzu weiblich vorgekommen waren, empfand sie mit einemmal eine schwesterliche Liebe. Ihr Gatte war nicht wenig erstaunt, wenn er sie mit dem Finger am Hals kitzelte und zur Antwort bekam: »Zerstöre doch nicht meine Frisur!« oder wenn er fragte: »Willst du mir denn nicht die Hand geben?!« und sie antwortete: »Unmöglich, ich habe mein neues Kleid an!« Aber die Kraft der Sünde hatte sich gleichsam aus den Scharnieren gelöst, in denen sie der Körper gefangen hält, und wanderte wie ein frühlinghaftes Gestirn in der verklärten neuen Welt einer Bonadea umher, die sich unter dieser

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