Der Mann von Nebenan
dumpfes Geräusch, sein Kopf fiel zur Seite. Kate verzog gequält das Gesicht.
»So, Willi«, hörte sie Gudrun sagen, »das ist für die letzten fünfzehn Jahre.«
Damit legte sie den Wagenheber zurück an seinen Platz.
Der Waldweiher lag schwarz und unergründlich zwischen den Tannen.
Ein Auto mit abgeblendeten Scheinwerfern näherte sich langsam und hielt am Ufer. Zwei Frauen stiegen aus, hoben einen schweren Gegenstand aus dem Kofferraum und verstauten ihn in einem der Ruderboote, die am Steg vertäut waren. Wenig später glitt das Boot übers Wasser; nur noch das leise Plätschern, wenn die Ruder aus dem Wasser tauchten, war zu hören.
In der Mitte des Weihers stoppte Malise das Boot.
»Fertig?«
Kate, die ihr gegenüber auf der zweiten Bank saß, nickte. Sie rührte sich nicht. Das Boot bewegte sich sachte hin und her.
»Also, was ist?«
Kate schreckte hoch. Malises Stimme schien von weit her zu kommen.
Zu Kates Füßen lag der tote Mattuschek; an seinen Armen und Beinen waren sorgfältig vier Eisenhanteln befestigt. Es waren die von Rita, mit denen sie immer trainiert hatte.
»Los«, sagte Malise und packte entschlossen seine Füße.
Kate ergriff die Handgelenke. Sie standen vorsichtig auf und wuchteten den Körper über die Bootswand. Das Boot schwankte gefährlich, mühsam hielten die Frauen das Gleichgewicht.
Mit einem kurzen, leisen Glucksen nahm der Weiher den Körper auf und verschluckte ihn. Aufatmend setzten sich die beiden Frauen wieder hin.
Malise lehnte sich zum Boot hinaus und wusch ihre Hände. Kate zog die Schnipsel der Autogrammkarte aus ihrer Jackentasche und streute sie ins Wasser. Dann setzte sie eine Flöte an den Mund. Eine melancholische Melodie erklang, während ein paar Luftblasen zur Oberfläche des Weihers aufstiegen und dort zerplatzten.
»Der Teufel hole deine schwarze Seele«, sagte Malise und spuckte ins Wasser. Dann packte sie die Ruder und wendete das Boot.
NEUNZEHN
A m darauffolgenden Sonntag erregten seltene Gäste die Aufmerksamkeit der Gottesdienstbesucher. Malise hatte ihre Tuareg-Tracht angelegt und wirkte ziemlich fremd in der bayerischen Kirche. Kate und Inge trugen, ohne daß sie es abgesprochen hätten, schwarze Kleidung, als gingen sie zu einem Begräbnis. Sie begleiteten Gudrun, die den dringenden Wunsch geäußert hatte, für die Seele des vermißten Willi zu beten; sogar Rita hatte sich ihnen angeschlossen. Ihr ging es aber offensichtlich nur darum, den neuen Pelzmantel auszuführen.
Der Gottesdienst war gut besucht. Als Gudrun, umringt von ihren Nachbarinnen, die Kirche betrat, ging ein mitfühlendes Raunen durch die Bänke.
Die fünf Frauen nahmen Platz, senkten die Köpfe und falteten die Hände.
Kate folgte aufmerksam dem Ritual des Gottesdienstes. Inbrünstig sang und betete sie mit; es konnte nicht schaden, den Herrgott gnädig zu stimmen.
Der Pfarrer hielt seine Predigt. Als er zu den armen Seelen kam, bedachte er Gudrun mit einem langen Blick.
»Und nun lasset uns beten für die Seele eines Gemeindemitglieds, dessen Schicksal wir derzeit noch nicht kennen. Wir wissen nur eines: Auch sein Leben liegt in den Händen Gottes, unseres Schöpfers. Sei ihm gnädig, o Herr, falls er nicht mehr unter uns weilen sollte, und nimm ihn auf in Deine Herrlichkeit.«
Gudrun schluchzte auf und schickte dem Pfarrer ein dankbares, schmerzerfülltes Lächeln. Sie tupfte die Tränen von ihren Augen und machte ein tapferes Gesicht. Perfekt spielte sie die Rolle der Verzweifelten, die hin und her gerissen ist zwischen der Hoffnung, ihr vermißter Mann könne wieder auftauchen, und der Angst, ihn endgültig verloren zu haben.
Während der Pfarrer die Kommunion verteilte, ruhte Malises Blick nachdenklich auf dem Pelzmantel. Sie beugte sich nach vorne und zupfte Rita am Ärmel.
»Seit wann macht Alex denn so großzügige Geschenke?« flüsterte sie.
Rita errötete, gab aber keine Antwort.
»Oder ist das vielleicht gar kein Geschenk?«
Erstaunt beobachteten Kate und Inge, wie Malise näher an Rita heranrückte und fragte: »Was hat das edle Stück denn gekostet?«
»Einiges«, gab Rita schnippisch zurück.
Unwillig drehten die Gläubigen ihre Köpfe.
»So um die viertausend vielleicht?« fragte Malise jetzt gut hörbar.
»Dös is fei unverschämt!« schimpfte eine Frau in der Bank neben Malise. »Kannst du dein Maul niet halten, wennst eh bloß alle Jubeljahre in d’Kirch kimmst?«
Die anderen Gottesdienstbesucher nickten zustimmend.
Malise
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