Der Mann zweier Welten
violettes Licht fiel grell über die Wände.
Es wurde langsam schwächer, und als es ausging, konnten sie nichts sehen. Dann kam es wieder, anfangs rot und dann immer greller. Die Strahlung blendete sie. Ketan zwang sich, einen Blick auf Matra zu werfen. Selbst sie schien bei dem Schauspiel zu erzittern.
Eines der Mädchen schrie auf.
Und plötzlich zerriß die Flamme. In ihrem Zentrum war Dunkelheit. Die Dunkelheit breitete sich aus, und es schien, als schüttelten unsichtbare Hände die ganze Kammer.
Plötzlich war alles zu Ende. Die Mädchen zitterten oder schluchzten. Aber Matra und die beiden Beobachterinnen beugten sich über die kleine Plattform in der Nische. Ein neues Geräusch entstand, ein leises, ängstliches Wimmern, das die Stimmung der Mädchen zeigte.
Eine der Beobachterinnen drehte sich um. Sie hielt ein winziges Bündel in den Armen. Und langsam dämmerte ihnen die Wahrheit. Das war ein menschliches Lebewesen. Sie hatten der Schöpfung beigewohnt.
12
»Das menschliche Leben ist am Anfang hilflos«, erklärte die Lehrerin. »Es kann weder essen noch gehen, sondern macht nur völlig unkontrollierte Bewegungen. Auch kann es sich nicht mit der Umwelt verständigen.«
Die Gruppe befand sich in einem Hörsaal. Auf den Gesichtern der Mädchen spiegelte sich noch der Schock des eben Erlebten. Drei von ihnen waren ohnmächtig geworden, als sie das häßliche kleine Ding sahen. Ketan bezweifelte, ob viele von ihnen die Wahrheit ganz begriffen hatten.
Die stämmige Lehrerin hielt ein Plastikmodell des winzigen Menschen hoch. »Glücklicherweise hat jedes Lebewesen die Fähigkeit, Nahrung aufzunehmen, wenn sie ihm richtig dargeboten wird. Dafür braucht man eine besondere Vorrichtung. Es ist eine Flasche mit einer biegsamen Spitze, in die man Flüssigkeit füllt. Durch eine automatische Bewegung der Lippen wird die Nahrung eingesogen. Auf diese Weise erhält man das Leben, bis es kräftiger geworden ist. Irgendwelche Fragen?«
Eine dumpfe Gleichgültigkeit hatte sich über die Gruppe gelegt.
»Das wäre alles«, fuhr die Lehrerin fort. »Jetzt werde ich euch die nächste Entwicklungsstufe zeigen.«
Sie wurden in einen Raum geführt, in dem Lebewesen von einer Tara zu gehen lernten. Die Dienerinnen mußten unwillkürlich über die grotesken Bewegungen der kleinen Geschöpfe lachen. Aber dann wurden sie von einer Art Mitleid ergriffen. Nicht einmal Ketan konnte sich diesem Gefühl ganz entziehen.
Die Lehrerin nickte beifällig, als die Mädchen auf die kleinen Dinger zugingen und ihnen bei ihren ersten Schritten halfen.
Von dort ging es in die nächste Abteilung, wo größere Kinder ihre Arme und Beine sinnvoll zu gebrauchen lernten. Dann sahen sie andere, die in die Anfangsgründe des Suchens eingeweiht wurden. In der letzten Abteilung befanden sich Halberwachsene, die auf ihre Entlassung nach Kronweld vorbereitet wurden.
*
Als der Tag zu Ende ging, wußte Ketan, daß er der Lösung um keinen Schritt näher gekommen war. Eine Zeitlang hatten ihn die seltsamen Kräfte in der Geburtskammer verwirrt. Doch nun sah er deutlich, daß sie nur dazu dienten, das eigentliche Geheimnis zu verschleiern. Das Leben entstand nicht aus diesen Flammen. Man hatte ihnen etwas vorgespielt.
Wo aber entstand das Leben? Wie konnte es inmitten des Feuers weiterbestehen? Wußten nur die Anfängerinnen so wenig?
Nur eine konnte ihm Auskunft geben – Matra. Er war überzeugt davon, daß sie ihn früher oder später zu sich rufen würde. Und er würde sie zwingen, seine Fragen zu beantworten.
Er hätte auch gern mit Elta gesprochen. Immer wieder fragte er sich, weshalb sie freiwillig hierher gekommen war. Sie wußte doch, wie Matra von ihr dachte. Welche Beziehung bestand zwischen den beiden? Und wer waren die Statiker?
*
Ketans Begleiterin war eher eine Bewacherin. Sie heftete sich an seine Fersen, sobald er sein Zimmer verließ. Nur in seinen vier Wänden hatte er Ruhe vor ihr. Er war sicher, daß die Überwachung nicht zu ihren gewöhnlichen Pflichten gehörte. Aber er bemerkte auch, daß viele der anderen Mädchen ähnlich behandelt wurden.
Ein paar Tage später ließ sie sich auf ein Gespräch mit ihm ein. »Gewöhnst du dich an dein neues Leben?«
»Es gefällt mir gut«, log Ketan. »Es ist das schönste Leben, das sich eine Frau wünschen kann.«
»Du hast recht.« Nelan nickte, und ein halbes Dutzend andere, die in der Nähe saßen, stimmten ebenfalls bei.
»Aber es beweist eines«,
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