Der Mann zweier Welten
für euch.«
Sie drehten sich um und liefen weg. Er sah, wie sich allmählich die Menschen in den Straßen ansammelten. Die Menge kam näher, angeführt von einem halben Dutzend Wachleuten.
Ketan trat einen Schritt zurück und wartete, bis die Menge zahlreich genug war. Dann rief er:
»Sucher von Kronweld! Ihr seht mich hier und fragt euch, weshalb ich noch unverletzt bin, obwohl ich die verbotene Linie überquerte. Ich war im Tempel und habe sein Geheimnis gelöst.
Ja, ich war dort. Wollt ihr wissen, was sich in ihm abspielt? Wollt ihr wissen, woher wir stammen?«
Er wartete auf die schockierten Rufe. Aber die Menge war so entsetzt, daß sie schwieg.
»Ich werde es euch sagen, ob ihr zuhören wollt oder nicht. Wir stammen von einer Welt jenseits des Großen Randes, die uns von Rechts wegen gehört. Vor langer Zeit drohte dieser Welt der Untergang, und ein paar große Sucher schickten uns zu unserem eigenen Schutz nach Kronweld. Aber nun ist es an der Zeit, zurückzugehen und die Welt wieder aufzubauen. Sie gehört uns. Sie ist der Sinn unserer Existenz.
Ihr müßt es euch selbst ansehen. Aber das Tor ist nun geschlossen. Kein neues Leben wird im Geburtstempel erscheinen, bis wir es wieder öffnen. Wir müssen das Tor von dieser Seite öffnen, bevor wir in unsere Welt zurückkönnen.«
Er starrte in die Menge und dachte an die Worte des Direktors. Er wußte, daß er versagt hatte. Tausend Jahre Mythus und Tradition ließen sich nicht durch einen einzigen Mann zerstören. Nur ein Blick auf die Erde konnte sie überzeugen.
Das Murmeln schwoll an. Sie hatten sich von ihrem Entsetzen erholt. Ein paar Steine flogen zu ihm herüber.
»Lästerer!«
Der Schrei ging wie eine Woge durch die Menge. Er erinnerte sich an den Mob, der Elta verbrennen wollte. Die Menge hier war nicht anders.
Und dann rief jemand: »Die Schutzlinie! Sie ist abgestellt worden!«
Er wartete, bis sie auf ihn zukamen.
*
Diese Nacht befand er sich allein in einem Raum seines Hauses. In jedem der umliegenden Räume hielten sich drei Wachleute auf. Eine doppelte Patrouille ging vor dem Haus auf und ab.
Stundenlang saß er reglos da. Weshalb hatte er sich so verschätzt? Alle, Branen, Ella, der Direktor hatten gewußt, was Hunderte Tara an Aberglauben ausmachten.
Hatte Igon in seinem Eifer den gleichen Fehler begangen?
Irgendwie war der große Traum Richard Simons’ falsch. Es hing mit dem Tempel zusammen. Die früheren Wissenschaftler hatten nicht geglaubt, daß er eine so große Rolle spielen würde. Nach ihrer Meinung sollte er nur ein Tor zur Erde sein. Sie hatten nicht geahnt, daß er die natürliche Geburt ausschließen würde.
Schließlich schlief Ketan ein. Er wurde von einem Wachmann unsanft geweckt.
»Der Rat möchte dich sehen.«
»Ich bin bereit.«
Er war bereit, wie ein Aussätziger unter seinen Freunden zu leben. Die Wachleute, die ihn im Wagen wegbrachten, grüßten nicht einmal.
Diesmal waren die Zuhörerränge voll besetze. Der Rat war wohl sehr selbstsicher. Ketan überlegte, wer jetzt Ratsvorsitzender sein mochte. Keiner war so boshaft wie Hoult.
Und dann sah er Anot. Ein zufriedenes Lächeln spielte um seine Lippen, als er Ketan ansah. Ketan hatte den kleinen ehrgeizigen Geologen vergessen, dessen Machthunger fast so groß war wie der des Direktors.
Er konnte die Blicke der Menge spüren. Die Gesichter der Ratsmitglieder waren eisig. Und dann erhob sich Anot. Seine schrille Stimme drang durch den Saal.
»Noch nie hat sich der Rat zu einem solchen Anlaß getroffen. Denn heute müssen wir über einen Mann richten, dessen Lästerungen alles Dagewesene überschreiten. Aus dem Geburtstempel gehen wir direkt ins Haus der Weisheit und bereiten uns auf den Beruf des Suchers vor. Diejenigen, die die besten Ergebnisse erzielen, erhalten geachtete Plätze in der Gemeinschaft. Sie brauchen sich nicht um die Besorgung von Nahrungsmitteln und anderen Bequemlichkeiten kümmern.
So findet jeder von uns seine Befriedigung. Das Ziel unserer Rasse ist fast erreicht. Das Zeitalter des Suchens kann als abgeschlossen betrachtet werden. Schon bald werden wir das letzte Geheimnis entdeckt haben, und dann bricht eine neue Ära an. Wir können das genießen, was wir uns geschaffen haben. Wir brauchen nicht mehr zu suchen, da wir alles wissen. Dieses Ziel haben wir uns seit vielen Tara gesetzt, als der Gott uns diese Welt schenkte.«
»Das ist eine Lüge!« fauchte Ketan. Er wirbelte herum. »Glaubt ihr Sucher ein Wort davon?
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