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Sturmkönige 03 - Glutsand

Sturmkönige 03 - Glutsand

Titel: Sturmkönige 03 - Glutsand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Das Flüstern weisser Federn
     
     
    Das Elfenbeinpferd stand mit angelegten Schwingen neben der Toten im Wüstensand.
    Es hatte das Haupt gesenkt, seine Nüstern berührten Maryams staubbedeckte Stirn. Es bewegte sich nicht. Stand einfach nur da, als hielte es stumme Zwiesprache mit der leblosen Sturmkönigin.
    Von Osten raste ein Windstoß über das ausgedörrte Ödland. Mit einem Laut wie ein Schrei traf er auf die Gruppe der sieben Menschen rund um die Tote. Die schneeweiße Mähne des Zauberpferdes sträubte sich in der heißen Bö, die Federn auf seinen Schwingen raschelten. Die Bewegungen erweckten es aus seiner Starre, und jetzt sah es nicht mehr aus wie ein weißes, aus Marmor gehauenes Grabmal an Maryams Seite. Das Flüstern der Federn verlieh ihm etwas Geisterhaftes, Überirdisches. Den Kopf noch immer gesenkt, trabte es zwei, drei Schritte rückwärts, als wollte es nun auch den anderen gestatten, Abschied zu nehmen.
    Sabatea überlegte, ob es etwas zu sagen, etwas zu tun gab. Aber ihre Stimme versagte. Die allgegenwärtige Trauer schien greifbar wie kalter Regen über der Wüste. Sie ergriff Tariks Hand, spürte, wie eisig seine Finger waren, und blieb eng an seiner Seite stehen. Sie rang um ihre Fassung, als ihr Blick abermals auf Junis fiel und der Schmerz, der in seiner Haltung, in seinem bitteren Schweigen lag, mit aller Macht auf sie übergriff.
    Er kauerte neben Maryam auf den Knien, den Oberkörper vorgebeugt, das Gesicht zwischen seinen langen schwarzen Haaren verborgen. Er ließ die Hand der Leiche nicht los. Seine aufgesprungenen Lippen bewegten sich, aber kein Ton drang aus seinem Mund. Er schien das Elfenbeinpferd und dessen rätselhafte Abschiedsgeste nicht bemerkt zu haben, so versunken war er in seinem Verlust, ganz eins mit seinem Leid.
    Wenn er weinen würde, dachte Sabatea, dann wäre es leichter. Wenn er schreien und toben würde, wenn Tarik und die anderen ihn hätten festhalten und bändigen müssen in seiner Pein. Die Stille und Reglosigkeit aber, in die er verfallen war, seit sie ihn und Maryam in der Einöde gefunden hatten, war verstörender als jeder Gefühlsausbruch.
    Neben ihm lag der verblichene Teppich, der Maryam und ihn über die Berge getragen hatte, hierher in dieses ausgetrocknete Flussbett. Er hatte sie nach der Schlacht in den Zagrosbergen vor den Dschinnen gerettet, doch hier war ihre Flucht zu Ende. Vor dem, was Maryam geholt hatte, gab es kein Entkommen.
    Sabatea blinzelte, weil Sonnenlicht und Sandkristalle in ihren Augen brannten. Als sich ihr Blick wieder klärte, hatte sich der alte Teppich enger an seinen verzweifelten Reiter herangeschoben. Eigentlich unmöglich. Aber Junis hatte seine Haltung nicht geändert, und niemand war dem Knüpfwerk nahegekommen. Dennoch berührten seine zerzausten Fransen jetzt Junis’ Bein, schmiegten sich an den fleckigen Stoff seiner Hose, als wollten sie ihm durch die Berührung Trost spenden. Niemand außer Sabatea schien es zu bemerken.
    Nicht Khalis, der Hofmagier des Kalifen von Bagdad; nicht Nachtgesicht und seine Schwester Ifranji; schon gar nicht Almarik, der Ifritjäger aus Byzanz, der noch immer auf seinem Gardeteppich hoch über ihnen am Himmel schwebte und Wache hielt.
    »Junis«, sagte Tarik und legte seinem Bruder sanft eine Hand auf die Schulter. »Wir müssen weiter. Die Dschinne können jeden Moment hier sein.«
    Junis reagierte nicht. Er kniete mit dem Rücken zu ihnen und hielt weiterhin Maryams blutleere Hand. Vor nicht allzu langer Zeit musste sie ihre Fingernägel kurz geschnitten oder abgekaut haben, aber in der Schlacht gegen die Dschinnfürsten und Kettenmagier in den Zagrosbergen waren selbst diese wenigen Reste gesplittert. Ruß, Schmutz und getrocknetes Blut bildeten dunkle Halbmonde in ihren Nagelbetten.
    Es waren solche Details, auf die sich Sabatea konzentrierte. Sie lenkten sie ab von der Tragik des Augenblicks, von dem Schrecken, den Junis und Maryam erlebt hatten und der noch immer um sie war, als wäre ein Stück davon auf ihrer Flucht an ihnen haften geblieben. Fast meinte Sabatea, in der Stille das Getöse des Krieges zu hören, die Schreie der Sterbenden, das Knistern der Magie um verbranntes Fleisch. Nichts als ihre Einbildung. Dennoch fröstelte sie, und die Kälte von Tariks Hand ließ die Gänsehaut von ihren Armen auf ihren ganzen Körper übergreifen.
    »Junis, bitte.« Tariks Tonfall wurde beschwörend. »Wir nehmen Maryam mit, du musst sie nicht hier zurücklassen. Aber von Süden

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