Der Marathon-Killer: Thriller
sie.
»Sondern?«
»Die in Cheltenham haben gestern Nacht etwas aufgeschnappt«,
sagte sie leise und blickte sich um.
»Betrifft es den Marathon?« Marchant ließ die Hand auf ihrer Schulter liegen und dehnte die andere Wade. Leila nickte. »Na, sag schon.«
»Ich dürfte es gar nicht erwähnen«, meinte sie und schob ihn fort. »Paul hat gerade angerufen, er hat gehört, dass ich mitlaufe.«
»Paul? Was überwacht der denn gerade? Den Chatroom von Runner’s World ?«
»Komm schon, Daniel. Du weißt, ich kann dir nichts sagen.«
Marchant war jetzt seit zwei Monaten aus dem MI6 raus, suspendiert bei vollem Agentengehalt. Leila wusste, wie wütend er deswegen noch immer war: weil sein Vater gestorben war und wegen der Gerüchte, die nicht verstummen wollten. Das setzte seiner Gesundheit ebenso zu wie die einsamen Nachtwachen im Pub, und auch das wusste sie. Marchants eigentlich jugendliches Gesicht hatte um die Augen einen müden Zug bekommen, sein mittelblondes Haar zeigte erstes Grau. Er war erst neunundzwanzig, aber manchmal, in einem bestimmten Licht, glaubte Leila fast, sie habe seinen Vater vor sich.
»Vergiss nicht: Am Anfang nicht zu schnell reingehen«, sagte sie und wechselte das Thema, als sie zu der Menschenmasse am Start hinüberjoggten. Leila arbeitete immer noch beim MI6, auch wenn sie sich häufig fragte, warum eigentlich. Die Arbeit beim Secret Intelligence Service, dem britischen Auslandsgeheimdienst, brachte sie beide langsam um.
»Das dürfte kein Problem werden.« Marchant schaute sich das Menschenmeer um ihn herum jetzt aufmerksamer an. »Kannst du mir noch mal sagen, warum wir das eigentlich machen?«
»Weil du gern läufst und weil du mich gern hast.« Leila drückte ihm die Lippen auf die Wangen, während über ihnen Hubschrauber durch den Himmel über South London donnerten.
So hatte sie ihn noch nie geküsst. In den trägen Stunden der Morgendämmerung hatte sie ihn auf eine ganz andere Art geweckt und mit einer Leidenschaft wach gehalten, die er beinahe beängstigend fand.
»Sollten wir unsere Kräfte nicht für den Marathon schonen?«, hatte er hinterher geflüstert, als die aufgehende Sonne durch die Jalousieritzen ihres Apartments in Canary Wharf schien. Seine Augen hatten allein bei dem Gedanken an Tageslicht geschmerzt.
»Meine Mutter hat mir gesagt, ich sollte jeden Tag so leben, als wenn es der letzte wäre.«
»Mein Vater hat ungefähr das Gleiche gesagt, nur auf Latein.«
Sie legte ihren Kopf auf seine Brust, ließ die Augen offen und streichelte seinen Bauch. Irgendwo an der Themse verklang eine Polizeisirene.
»Tut mir leid, die Sache mit deinem Vater.«
»Mir auch.«
Später fand er sie in der Küche, wo sie einen Topf Porridge anrührte und aus dem Fenster hinüber zum O 2 -Dome schaute. Auf der Granitfläche der Kochinsel stand eine leere Whiskyflasche neben dem Geschirr vom Abendessen und einer großen Schüssel mit Pastaresten.
Er trat auf das Pedal des Chrommülleimers und warf die Flasche hinein, ohne den Blick von Leila abzuwenden. Sie trug einen Slip und ein altes T-Shirt vom London Marathon mit einem Spruch auf dem Rücken: »Nie wieder… bis zum nächsten Mal.« Ihm wurde klar, dass der Whisky ein Fehler gewesen war. Beim nächsten Mal würde er es früher einsehen. Der Schmerz hinter seinen Augen breitete sich aus.
»Was ist das?«, fragte er und nahm ein Blatt Papier von der Kücheninsel.
Sie drehte sich um und sah dann wieder aus dem Fenster. »Du hast nicht viel für Religion übrig, oder?«, fragte sie.
»Hey, ich war mal Sufi in meinem Jahr in Indien.«
»Wer war das nicht?«
»Ist das so ein Bahai-Kram?«
»Das ist kein Kram, sondern ein Gebet. Ich musste es jeden Morgen meiner Mutter aufsagen, ehe ich zur Schule ging.«
Leila war nicht besonders religiös, doch in den letzten Monaten hatte sie sich mehr für den Bahai-Glauben ihrer Mutter interessiert. Marchants Wissen darüber war nur lückenhaft und stammte aus einem Bericht des britischen Inlandsgeheimdiensts MI5 über den Waffeninspektor Dr. David Kelly. Der Mann war ein Bahai gewesen und in einem Wald in Oxfordshire tot aufgefunden worden.
Er betrachtete das Blatt noch einmal und las eine Passage des Gebets laut: » Bin ich bewaffnet mit der Macht Deines Namens, so kann nichts mich verwunden, und mit Deiner Liebe im Herzen können alle Trübsale dieser Welt mich nicht schrecken. Ist das tröstlich?«
»Sie hat gesagt, es würde uns beschützen.«
Jetzt, als er zu den
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