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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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1. Kapitel
    Nürnberg, Anfang November 1491 n.Chr.
    Die beiden Männer taumelten unter dem Gewicht, das sie zwischen sich trugen. Sie waren allein in der alten Bürgerkirche, und nur die leeren Augen der Heiligenfiguren aus Stein und Holz folgten ihnen, als sie ihre Last durch den Mittelgang schleppten, nach vorn zum Grab des heiligen Sebaldus.
    Die Männer hätten unterschiedlicher nicht sein können. Obwohl sie beide kräftig von Gestalt waren, glichen sie sich kaum. Einer von ihnen trug die teure, farbenfrohere Kleidung eines Patriziers – seidene Strümpfe, eine ausgepolsterte Hose und ein Wams mit ebenfalls ausgepolsterten Schultern –, der andere die schlichte Uniform eines Stadtbüttels. Beide jedoch schwitzten sie unter ihrer Last, und langsam nur, einen Fuß vor den anderen setzend, wankten sie am Heinrichsaltar vorbei. Vor der niedrigen Schranke, die den riesigen Hallenchor der Kirche von dem Kirchenraum für die Laien trennte, blieben sie stehen.
    Von hier aus hatten die Männer einen guten Blick auf das Gehäuse des Sebaldusschreins, das Gläubige und Pilger mit Heiligenbildern aus Wachs und Metallfolie behängt hatten. In dem schwachen Schimmer, den die wenigen auf den Altären ringsherum verteilten Kerzen verbreiteten, glänzten die silbernen und goldenen Votivgaben geheimnisvoll.
    Aber das kümmerte die Männer nicht.
    Mit einem Ächzen ließen sie ihre Last zu Boden gleiten, und jetzt, im helleren Teil der Kirche, war zu erkennen, dass es sich dabei um einen unförmigen, in eine dicke Lederplane eingewickelten Gegenstand handelte. Ein strenger Geruch stieg von dem Bündel auf, legte sich schwer und betäubend in die Luft, und als der Patrizier ihn einatmete, musste er husten. Das Geräusch klang in der hallenden Stille der Kirche wie ein Schuss.
    Der Patrizier streckte sich, ließ die Schultern kreisen. Dann schwang er erst ein Bein über die Chorschranke, danach das zweite. Vor dem hölzernen Schreingehäuse, das von einem Metallzaun umgeben war, auf dessen vier Ecken man dicke weiße Kerzen aufgespießt hatte, blieb er stehen und besann sich einen Augenblick lang.
    Andächtig zog er einen Gegenstand aus der Tasche und hielt ihn sich vors Gesicht. Es war eine Art Schlüssel – ein längliches, vorn mit einem Haken versehenes Stück Metall.
    Der Patrizier drehte es ein paarmal hin und her, wie um seine Beschaffenheit zu prüfen. Dann beugte er sich über den Metallzaun, schob den Schlüssel in das erste der beiden Schlösser, die das Schreingehäuse verschlossen. Einen Augenblick lang stocherte er in dem Schloss herum, dann ertönte ein leises Quietschen und schließlich ein laut vernehmliches Klicken, als das Schloss aufsprang.
    Erschrocken fuhren beide Männer herum, erstarrten, als fürchteten sie, bei ihrem unheiligen Tun ertappt worden zu sein. Doch die Kirche lag in völliger Stille da. Nur die Altarkerzen flackerten in dem leichten Luftzug, der durch eine zerbrochene Scheibe im Behaimfenster hereindrang.
    Der Patrizier schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem Schreingehäuse zu. Er zog den Schlüssel heraus, führte ihn in das zweite Schloss ein und öffnete nach einigem Probieren auch dieses. Wieder hallte das metallische Klicken des zurückspringenden Riegels im Kirchenraum wider.
    Von draußen drang fernes Läuten durch die dicken Wände. Der Türmer vom Weißen Turm verkündete Mitternacht. Die Glocken von St. Sebald jedoch, die gewöhnlich als Erste die Stunde schlugen, blieben heute still.
    Der Patrizier verharrte, bis das Läuten verklungen war. Dann nickte er zufrieden und öffnete die hölzerne Tür des Schreingehäuses.
    Zum Vorschein kam ein hausförmiger Kasten, der von einer steifen Lederhülle bedeckt war. Fast ehrfürchtig hob der Mann diese und entblößte das Herzstück des Grabes, den eigentlichen Schrein, der mit Dutzenden von Silberbändern verziert war und überaus kostbar wirkte.
    Zwischen dem Schrein und der Holzwand des Gehäuses waren ungefähr zwei Handspannen Platz. Zufrieden richtete sich der Patrizier auf, streckte erneut den schmerzenden Rücken und ging dann zurück zur Chorschranke.
    »Helft mir!«, befahl er seinem Begleiter, dem Mann in der Stadtbütteluniform.
    Unter tiefem Ächzen hievten die beiden das Bündel über die Schranke. Dabei blieb die Plane an einem hervorstehenden Nagel hängen und riss einige Fingerbreit auf. Ruckartig fuhren beide Männer zurück. Stöhnend pressten sie sich die Ärmel auf Mund und Nase.
    »Heilige Mutter Gottes!«,

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