Der Marshal ist eine Lady
reichte allein der Gedanke daran aus, wie sie ihre weiblichen Waffen einsetzen würde, um Lassiter davon zu überzeugen, dass sie die richtige Partnerin für ihn war – sowohl beruflich als auch privat.
Ja, sie besaß einen unschätzbaren Vorteil gegenüber all den Konkurrentinnen, die sich dem großen Mann an den Hals zu werfen versuchten. Sie konnte nämlich ständig in seiner Nähe sein, weil es ihre Pflicht war. Ihre dienstliche Partnerschaft mit Lassiter wurde praktisch von oben angeordnet. Dagegen konnte er nichts machen. Er musste sich einfach mit ihr arrangieren. Und wenn sich die ersten gemeinsamen Ermittlungserfolge im Kampf gegen das Banditenunwesen einstellten, würde ihre Zusammenarbeit mit ihm praktisch so sehr festgezimmert werden, dass das Justizministerium darauf bestehen würde, das Agenten-Duo Lassiter – Eugenia Blake zu einer dauerhaften Einrichtung zu machen. Voller Behagen dachte sie daran, wie sie mit ihm durch die Weiten des Westens reisen würde, von einem Hotelzimmer zum anderen. Sehr bald würde er dann einsehen, wie gut es ihm tun würde, wenn sie aus den getrennten Hotelzimmern ein gemeinsames machten.
Amanda holte sie aus ihren Schwärmereien in die Wirklichkeit zurück, indem sie sagte: »Darf ich Sie etwas fragen?«
»Natürlich.« Eugenia räusperte sich. »Nur über Angelegenheiten, die als Top Secret eingestuft wurden, kann ich Ihnen nichts verraten.«
Amanda lächelte. »Ich denke, es wird kein Geheimnis sein, wie Sie es als Frau geschafft haben, US Marshal zu werden. Oder irre ich mich?«
»Keineswegs«, antwortete Eugenia und erwiderte das Lächeln der Hotelinhaberin. In kurzen Zügen erzählte Eugenia, wie sie es mit ihren sechsundzwanzig Jahren bereits zum US Marshal gebracht hatte – noch dazu als Frau in einem bislang reinen Männerberuf.
Ihr Vater war County Sheriff in Sioux City, Iowa. Bei ihm hatte sie gelernt, was einen Gesetzeshüter ausmachte – Reiten und Schießen und alles sonstigen Fähigkeiten, die man mitbringen musste, wenn man einen Stern auf der Brust trug. Gegen den Willen ihrer Mutter hatte sie sich gegen Küche und Kinder entschieden und war ihren eigenen Weg gegangen. Ihr Vater hatte ihr einen Job in der Pinkerton Agency vermittelt, anfangs in Chicago im Office und dann im Außendienst. Sie kam im Westen herum und machte durch außergewöhnliche Erfolge im Kampf gegen Banditen auf sich aufmerksam. Zum Rapport ins Justizministerium nach Washington DC berufen, erhielt sie die Chance ihres Lebens und wurde zunächst zum US Marshal ernannt. Das war gewissermaßen die Wartestellung für ein späteres Bureau of Investigation, dessen Agenten einmal über die Grenzen aller Bundesstaaten hinweg für das gesamte Gebiet der USA zuständig sein sollten.
»Nun …«, sagte Amanda, nachdem Eugenia geendet hatte. »Ich bin sehr stolz, eine Frau wie Sie in meinem Hotel beherbergen zu dürfen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich später ins Gästebuch eintragen würden.«
Eugenia versprach es und blickte der Inhaberin nach, als sie das Restaurant verließ. Kurze Zeit später machte Eugenia sich ebenfalls auf den Weg. Bevor sie sich in den ersten Stock begab, sah sie noch einmal in der Rezeption und im angrenzenden Saloon nach dem Rechten.
»Der hat genug für heute«, antwortete einer der Männer an der Theke, als sie nach Norrish fragte. »Der lässt sich für eine Weile nicht mehr blicken.«
***
Der Transport bestand aus vier zweispännigen Frachtwagen, deren Böcke mit jeweils zwei Kutschern besetzt waren. Die Männer konnten sich untereinander ablösen. Ihre Bewaffnung bestand aus Revolvern, Winchester-Gewehren und doppelläufigen Schrotflinten. Die Sechsschüsser trugen sie mittels Patronengurten und Holstern am Mann, die Langwaffen steckten in Halterungen links und rechts an den Kutschböcken. Munitionsvorräte befanden sich in Kästen unter der Sitzfläche.
Lassiter und Bruce Tabor ritten an der Spitze. Vier weitere Reiter begleiteten die Wagenkolonne, zwei in der Mitte und zwei am Ende. Lassiter ritt einen kräftigen und ausdauernden Braunen, den er bereits bei seinem Eintreffen in einem Mietstall in Sheridan gekauft hatte. Die übrigen Pferde stammten ausnahmslos aus der eigenen Zucht der C-Ranch und waren für die Arbeit im Gespann oder unter dem Sattel bestens ausgebildet.
Die Ladeflächen der Wagen waren hoch bepackt und mit Planen und Seilen gesichert. Die Ladung bestand aus Baumaterial, Werkzeug und Proviant. Vorgesehen war, das
Weitere Kostenlose Bücher