Der Marshal ist eine Lady
Lassiter und tat, als müsste er nachdenken, um schließlich zu einem Entschluss zu kommen. »Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Ich werde den Männern noch einmal einschärfen, was sie zu tun haben. Einverstanden?«
»J …ja, natürlich«, antwortete Tabor unsicher. Offensichtlich konnte er sich nicht genau vorstellen, was der große Mann plante.
»Gut.« Lassiter nickte. »Dann reite ich nur kurz zurück und rede mit den Männern. Du hältst hier vorn die Stellung, okay?«
»Klar. Geht in Ordnung.« Tabor wirkte erleichtert.
Lassiter zog den Braunen herum. Ohne die Kolonne anzuhalten, erklärte er den Kutschern und den Begleitern mit knappen Worten, was möglicherweise zu tun war. Seit sie wussten, dass er sich im Auftrag des Justizministeriums im Sheridan County aufhielt, hatten sie sich bereitwillig seinem Kommando unterstellt. Hinzu kam, dass er alle Sympathien der Rancherin genoss. Bruce Tabors Autorität für den Ranchbetrieb blieb natürlich unangefochten.
Als Lassiter vom Ende der Wagenkolonne nach vorn zurückkehrte, durchfuhr diese eine lang gezogene Rechtskurve, die um den Fuß eines der vielen Hügel herumführte. Die nächste Biegung des Wegs würde dann nicht lange auf sich warten lassen. Der große Mann kam bei den Kutschern des ersten Wagens an und stutzte.
Bruce Tabor war nicht zu sehen.
»Wo ist der Vormann?«, rief Lassiter den Männern auf dem Bock zu.
»Vorausgeritten«, antwortete der Kutscher auf der rechten Seite. »Er will schon mal auskundschaften, ob es was Verdächtiges gibt.«
Lassiter fackelte nicht lange, er gab das vereinbarte Zeichen. Zur Sicherheit ritt er noch einmal an der Kolonne entlang und wiederholte den Befehl. Der Weg war an dieser Stelle breit genug. Zu einer klassischen Wagenburg konnten sie nicht auffahren, dazu waren sie zu wenige. Doch sie waren in der Lage, ein Karree zu bilden. Falls jemand sie von einer der umliegenden Anhöhen herab beobachtete, erlebte er mit, wie sich der kleine Wagenzug in ein waffenstarrendes Viereck verwandelte, in dessen Mitte die Gespannpferde sicher untergebracht waren.
***
Eugenia Blake genoss das Aufsehen, das sie in der schummrigen Hotelbar erregte. Die schweren Samtvorhänge der Fenster waren zugezogen, sodass kaum Tageslicht hereindrang. Natürlich war es ein dezentes Aufsehen, für das sie bei den anwesenden Gentlemen sorgte. Entgeisterte Blicke hefteten sich auf sie, um sofort wieder auszuweichen, wenn sie es bemerkte. Wenn sie sich von der beeindruckenden Frau unbeobachtet fühlten, steckten die vornehm gekleideten Männer die Köpfe zusammen und tuschelten angeregt.
Eugenia wusste nur zu gut, dass es für eine Bar wie diese ungeschriebene Gesetze gab. Dazu gehörte, dass nur ehrenwerte und wohlhabende Bürger Stadt Zutritt hatten; außerdem natürlich Geschäftsreisende, die im Hotel logierten. Das einschneidendste jener ungeschriebenen Gesetze betraf Frauen. Man sagte es ihnen nicht direkt, sondern hinten herum: Eine Bar dieser gehobenen Kategorie war für männliche Gäste reserviert, für Gentlemen eben, in des Wortes wahrer Bedeutung.
Vom Eingang her steuerte Eugenia auf den Mittelgang zu. Es gab nicht mehr als acht Tische und die Barhocker; große Publikumsscharen wurden hier ohnehin nicht erwartet. Nur die Hälfte der vorhandenen Plätze war im Augenblick besetzt. Silbergraue Haare, Backenbärte und Vollbärte bestimmten das Bild. Lediglich drei oder vier jüngere Männer waren unter denen, die es her in Sheridan zu Ansehen gebracht hatten. Jene jüngeren, deren Glattfrisuren pomadisiert glänzten, gaben ihre Zurückhaltung als erste auf. Sie wandten die Köpfe und starrten die Frau mit dem Marshal-Stern unverhohlen an.
Eugenia spürte, dass sie mit Blicken ausgezogen wurde.
Insbesondere ihr Dekolletee und die Stellen, an denen der Stoff ihres Hosenanzugs spannte, über den Brüsten und über ihren Oberschenkeln, erzeugten in den Augen der Starrenden ein gieriges Glitzern. Diese Burschen waren auf der Durchreise, arbeiteten wahrscheinlich für große Handelsunternehmen in Minneapolis oder Chicago. Deshalb glaubten sie, sich in einer Kleinstadt wie Sheridan alles herausnehmen zu können. In den Großstädten wurden Frauen in Männerberufen längst akzeptiert, wenn auch widerstrebend. In der Provinz aber fühlten sich die Gentlemen noch immer als kleine Könige. Sie waren die Unverbesserlichen, die dem Wahlrecht für Frauen niemals zustimmen würden.
Eugenia verharrte, ließ ihren Blick unschlüssig über
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