Der Matarese-Bund
TEIL I
1
Wir sind drei Könige aus dem Orient, bringen Myrrhen und Weihrauch…
Die Sänger drängten sich an der Ecke, stampften mit den Füßen und schwangen die Arme. Ihre jungen Stimmen durchdrangen die kalte Nachtluft und übertönten das Plärren der Autohupen, das Schrillen der Polizeipfeifen und den blechernen Klang der Weihnachtsmusik, die aus den Lautsprechern der Kaufhäuser drang. Es fiel dichter Schnee, der Verkehr wälzte sich schwerfällig durch die Straßen. Die Leute, die noch in letzter Minute ihre Weihnachtseinkäufe tätigen wollten, schützten ihre Augen mit den Händen. Trotzdem schafften sie es, einander ebenso auszuweichen wie den gelegentlich rutschenden Autos und den Bergen von Matsch. Reifen drehten auf den nassen Straßen durch, Busse schoben sich zentimeterweise vor und mußten wieder stehenbleiben. Dazu schrillten die Glocken der uniformierten Weihnachtsmänner unablässig.
Von weit her, über Feld und Fluß,
Moor und Be-he-her-ge…
Eine dunkle Cadillac-Limousine bog um die Ecke und kroch an den Sängern vorbei. Ihr Anführer, er trug ein Kostüm, das an eine Figur aus einem Roman von Charles Dickens erinnerte, trat an das rechte Hinterfenster, die Hand ausgestreckt, das Gesicht dicht an der Scheibe…
Wir folgen dem Ste-he-hern…
Der Fahrer drückte ärgerlich auf die Hupe und winkte den Jungen weg, aber der Passagier auf dem Rücksitz griff in die Manteltasche und holte ein paar Scheine heraus. Er drückte einen Knopf; die Fensterscheibe glitt lautlos herunter, und der grauhaarige Mann schob dem Jungen das Geld in die ausgestreckte Hand.
»Gott möge Sie segnen, Sir«, schrie der Junge. »Der BoysClub der East Fifteenth Street dankt Ihnen. Frohe Weihnachten, Sir!«
Der fromme Wunsch wäre noch wirksamer gewesen, hätte ihn nicht ein Schwall whiskybeladenen Atems begleitet.
»Frohe Weihnachten«, sagte der grauhaarige Mann und drückte den Fensterknopf, um die Verbindung abzuschneiden.
Der Verkehr kam einen Augenblick lang zum Stocken. Der Cadillac schoß vor, mußte aber bereits nach zehn Metern wieder abrupt bremsen. Der Fahrer packte das Lenkrad fester; eine Geste, die an die Stelle eines lauten Fluches trat.
»Ganz ruhig, Major«, sagte der grauhaarige Passagier, und seine Stimme klang gleichzeitig mitfühlend und befehlend. »Es hilft nichts, wenn Sie sich aufregen; auf diese Weise kommen wir auch nicht schneller an unser Ziel.«
»Sie haben recht, Herr General«, antwortete der Fahrer mit einem Respekt, den er in Wirklichkeit gar nicht empfand. Normalerweise war dieser Respekt durchaus vorhanden, aber nicht heute, nicht auf dieser Fahrt. Es gehörten schon Nerven dazu, von seinem Adjutanten zu verlangen, am Weihnachtsabend Dienst zu machen. Noch dazu, um einen gemieteten Zivilwagen nach New York zu fahren, damit der General sich vergnügen konnte. Der Major konnte sich ein Dutzend akzeptable Gründe vorstellen, um an diesem Abend Dienst zu tun, aber dieser Grund gehörte nicht dazu.
Ein Hurenhaus. Wenn man die ganzen verbalen Feinheiten einmal abstreifte, war es das. Der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs ging am Weihnachtsabend in ein Hurenhaus! Und weil er vorhatte, sich dort auf höchst vielseitige Art zu vergnügen, mußte der persönliche Adjutant des Generals bereitstehen, um nach diesen Vergnügungen das jämmerliche Etwas, das von dem General übrigblieb, wegzuschaffen. Es abholen, wieder zusammensetzen, dafür sorgen, daß es den nächsten Morgen in irgendeinem obskuren Motel überstand und sicherstellen, daß niemand erfuhr, was das für Vergnügungen waren oder wer dieses jämmerliche Etwas war. Morgen mittag würde dann der Vorsitzende wieder seine militärisch gerade Haltung annehmen, seine Befehle erteilen. Der Abend und das, was zwischen ihm und dem Morgen lag, würde vergessen sein.
Der Major hatte diese Fahrten während der letzten drei Jahre häufig gemacht – seit dem Tag, an dem man den General auf diese ehrfurchtgebietende Position befördert hatte. Nach diesen Fahrten gab es immer Perioden besonders intensiver Aktivität im Pentagon, oder Augenblicke nationaler Krisen, in denen der General seine ganzen beruflichen Fähigkeiten unter Beweis gestellt hatte. Aber nie in einer Nacht wie dieser. Nie am Weihnachtsabend! Wenn der General ein anderer als Anthony Blackburn gewesen wäre, hätte der Major vielleicht Einspruch erhoben, hätte gesagt, daß an den Feiertagen selbst die Familie eines subalternen Offiziers gewisse Prioritäten
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