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Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur

Titel: Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Ansprüchen genügte, und stießen Archäologen und Paläografen nichtüberall auf Datierungen und andere Kalenderverweise. Gleichzeitig aber beschränkte sich diese Besessenheit auf bestimmte Kreise und Funktionen. Die Kultur der Maya war manisch fixiert aufs Zeitliche, was die religiöse, politische und die Langzeitkomponente der Zeit betrifft. Das aber war Sache der Kulturträger, der Eliten, denn einfache Menschen wie unser viel bemühter Bauer Ben dürften alles andere als zeitbesessen gewesen sein. Sie schwammen vielmehr ganz gemächlich im Zeitfluss mit und befassten sich mit dem Thema kaum mehr als ein Bauer derselben Zeit auf dem Peloponnes oder in der chinesischen Provinz: Der alljährlich wiederkehrende Zyklus der Jahreszeiten, von Aussaat, Wachstum und Ernte sowie der Zeithorizont der eigenen Lebensspanne waren prägend. Gleichwohl wussten sie um die enorme Bedeutung der Zeit in ihrer religiösen Dimension und um den Kalender als ihr Instrumentarium, dessen rituelle Funktionen sie in einfacher Form selbst nutzten. Dennoch werden sie die Feinheiten des Kalenders ebenso wenig verstanden haben, wie sie die Tatsache begreifen konnten, dass der Kalender längst ein virtuos gehandhabtes Herrschaftsinstrument der heiligen Könige geworden war. Zeit und Kalender waren wie überall Ausdruck der allgemeinen Ordnung – nicht mehr und nicht weniger. Sie durchdrangen die menschliche Existenz aber nicht annähernd so umfassend, wie wir das heute in Form von Uhrzeitdiktat und Tempowahn an uns selbst erleben.
    Ganz insgesamt war im Unterschied zu heute die Unterteilung des Tages und die akribische Kleinteilung solcher Untereinheiten kein Thema, weil dafür gar keine Notwendigkeit bestand. Die alten Maya stellten zwar eine bewundernswerte Hochkultur mit erstaunlichen Errungenschaften dar – aber als eine ganz und gar vorindustrielle Gesellschaft und ohne die Wahrnehmung der Zeit als Wirtschaftsfaktor mit pekuniärem Wert änderte ihre Zeitbesessenheit nichts an der Beschaulichkeit, mit der die Tage einander ablösten.
    Diese Form der Zeitbesessenheit findet keine Entsprechung in unserer Lebenserfahrung mit Zeit und Kalender. Unsere Besessenheit oder Versklavung in Sachen Zeit, wie wir sie zuweilen oder häufig wahrnehmen, gar erleiden, bezieht sich ja auf ihre Kleinteilung – sie ist es, die uns so sehr im Griff hat. Nicht umsonst bekam die Armbanduhr einst den Spitznamen »Zeitfessel« verpasst. Kein Wunder also, dass wir modernen Nachgeborenen uns schwertun mit einem Steinzeitvolk, das einerseits intellektuell so gewieft war, diesen Kalender in all seinen Ausgestaltungen zu entwickeln und zu nutzen, dessen Zeitbesessenheit andererseits aber so ganz anders aussah als unser »industrialisierter« Umgang mit der Zeit. Genau darin liegt eine der Ursachen für die zweite Karriere des Maya-Kalenders in der westlichen Welt der Neuzeit.
    Üblicherweise zieht man eine klare Trennlinie zwischen dem Umgang mit der Zeit in vorwiegend vorindustriellen und dem in modernen Gesellschaften: Danach hatten die frühen Gesellschaften ein naturnahes, ursprüngliches Verhältnis zur Zeit, weil sie näher an der Natur waren als wir heute und daher für ihre, vorzugsweise Öko-Zeit genannte, Zeitrechnung die Rhythmen aufnahmen, die Natur und Sterne, Tageslicht und Nachtdunkel, Werden und Vergehen ihnen vorgaben. Im Gegensatz dazu sind wir heute wie unsere Vorfahren seit Jahrhunderten Sklaven der industriellen Zeit, die sich an ganz anderen Vorgaben orientiert: an Notwendigkeiten des modernen Lebens, am Diktat der Wirtschaft, der der Mensch als Arbeitskraft zu dienen hat, sowie an den Möglichkeiten, die die Moderne uns bietet, darunter die Aufhebung der Trennung von Tag und Nacht oder die technischen Möglichkeiten von Geschwindigkeit und zeitsparendem Multi-Tasking beim Bewältigen des modernen Alltags.
    Allerdings greift diese dualistische Einordnung in vorindustriell und modern zu kurz, denn es gibt noch etwas dazwischen. Und dieses Dazwischen ist nicht etwa eine Art Schnittmenge oder einekurze Übergangsphase, sondern vielmehr der mittlere Aggregatzustand in der Entwicklung des menschlichen Umgangs mit der Zeit. Für diese mittlere Entwicklungsstufe bieten die Maya ein Beispiel – in ganz anderer Ausformung aber auch das Europa der Frühen Neuzeit zwischen Spätmittelalter und Aufklärung.
    Die wichtigste Eigenschaft dieser mittleren Phase besteht darin, dass die sogenannte Öko-Zeit um die Dimension des professionellen

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