Der Medicus von Saragossa
verstörenden Erinnerung an seine jüdische Vergangenheit tat.
Es war gewiß klug von Helkias gewesen, einen Fünfzehnjährigen allein mit der Lieferung des Reliquiars zu betrauen, das erkannte Bernardo jetzt. Eine bewaffnete Wache hätte allerlei Gesindel auf den Plan gerufen, das sofort geahnt hätte, daß hier etwas Kostbares unterwegs war. Dagegen hatte ein Junge, der ein unauffälliges Bündel durch die Nacht trug, gewiß bessere Aussichten, ans Ziel zu kommen.
Eine trügerische Hoffnung, wie sich gezeigt hatte. Espina stieg ab und führte das Pferd auf den Pfad, der zum Fluß hinabführte. Knapp unterhalb der Kante stand eine Steinhütte, die vor langer Zeit von den Römern erbaut worden war; von dort hatte man Verurteilte in den Tod gestürzt. Tief unter ihm schlängelte sich der Fluß in unschuldiger Schönheit zwischen dem Hochufer und einem Granithügel am anderen Ufer dahin. Jünglinge, die in Toledo aufwuchsen, mieden nachts diesen Ort, denn es ging das Gerücht, daß man hier noch immer das Wehklagen der Toten hören konnte.
Er geleitete sein Pferd den Pfad hinunter, bis aus dem steilen Abhang eine sanftere Böschung wurde, bog dann ab und folgte einem Weg, der ihn bis an den Wasserrand führte. Die Alcántara-Brücke war nicht für ihn passierbar, selbst Meir ben Helkias hatte sie wohl kaum benutzt. Nach einer kurzen Strecke flußabwärts kam Bernardo zu der Furt, auf der auch der Junge vermutlich den Fluß überquert hatte, und dort bestieg er wieder sein Pferd.
Am anderen Ufer mündete ein kleiner Weg, der zur Abtei zur Himmelfahrt Mariä führte. Nur einen Steinwurf entfernt lag fettes und fruchtbares Ackerland, aber hier war die Erde dürftig und trocken, gerade gut genug, um ein paar Tiere darauf mehr schlecht als recht grasen zu lassen. Kurz darauf hörte Espina denn auch das Blöken von Schafen und traf auf eine große Herde, die das kurze Gras abweidete, nur von einem alten Mann bewacht. Espina kannte ihn; er hieß Diego Diaz. Der Schäfer besaß eine weitverzweigte Familie, die fast so groß war wie seine Herde, und Espina hatte schon eine ganze Reihe seiner Verwandten in seiner kleinen Krankenstation behandelt.
»Einen guten Nachmittag, Señor Bernardo.«
»Einen guten Nachmittag, Señor Diaz«, sagte Espina und stieg ab. Er ließ das Pferd mit den Schafen grasen, plauderte ein wenig mit dem Schäfer und fragte dann: »Diego, kennt Ihr einen Jungen namens Meir, den Sohn von Helkias dem Juden?«
»Meint Ihr den Neffen von Aaron Toledano dem Käser, Señor?« »Ja. Wann habt Ihr ihn das letzte Mal gesehen?«
»Gestern am frühen Abend. Er war unterwegs, um Käse für seinen Onkel auszuliefern, und für nur einen Sueldo hat er mir einen Ziegenkäse verkauft, den ich heute morgen zum Frühstück verzehrt habe. Das war ein Käse, davon hätte er mir zwei geben können.« Er sah Espina an. »Warum sucht Ihr ihn? Hat er etwas ausgefressen, der Kleine?«
»Nein. Ganz und gar nicht.«
»Das dachte ich mir schon, der ist nämlich kein schlechter Junge, dieser Meir.«
»Waren gestern abend auch andere hier in der Gegend unterwegs?« fragte Espina, und der Schäfer sagte ihm, kurz nachdem der Junge weggegangen war, seien zwei Bewaffnete vorbeigekommen, die ihn beinahe niedergeritten hätten. Er habe sie freilich nicht angesprochen, und auch sie hätten ihn keines Wortes gewürdigt.
»Zwei, sagt Ihr?« Bernardo wußte, daß er sich auf die Angaben des alten Mannes verlassen konnte. Der Schäfer hatte die beiden Männer sicher sehr genau beobachtet, konnte er doch froh sein, daß zwei bewaffnete nächtliche Reiter an ihm vorbeizogen, ohne anzuhalten und ihm ein oder zwei Lämmer abzunehmen.
»Zwei Reiter wohl, aber zusammen paßten sie irgendwie nicht. Der eine war bucklig, als trüge er einen Stein auf dem Rücken, den zwei Männer kaum stemmen könnten.« Diego grunzte und lief davon, um seinen Hund vier Schafen nachzuschicken, die sich von der Herde entfernten.
Bernardo nahm seine Stute am Zügel und stieg auf. »Seid mit Christus, Señor Diaz.«
Der alte Mann warf ihm einen schelmischen Blick zu. »Christus sei mit Euch, Señor Espina«, sagte er.
Ein kurzes Stück hinter den mühsam weidenden Schafen wurde die Erde fetter und fruchtbarer. Bernardo ritt durch Weingärten und einige Felder. In dem Feld neben dem Olivenhain der Abtei hielt er an, stieg ab und band die Zügel des Pferdes an einen Busch.
Das Gras war von Hufen platt gedrückt und zertrampelt. Das schien tatsächlich zu den
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