Der Medicus von Saragossa
zwei Pferden zu passen, die der Schäfer gesehen hatte.
Irgend jemand hatte von dem Auftrag des Silberschmieds erfahren und vermutlich, als Helkias kurz vor dem Abschluß der Arbeit stand, sein Haus beobachten lassen, um die Lieferung abzupassen.
An genau dieser Stelle war Meir seinen Mördern begegnet. Die Schreie des Jungen hatte niemand gehört. Der von der Abtei gepachtete Olivenhain lag in freiem, unbewohntem Gelände, einen strammen Fußmarsch vom Kloster entfernt.
Blut. Hier hatte der Junge den Stich in die Seite erhalten, vermutlich von einer ihrer Lanzen.
Über dieses platt getrampelte Stück Gras, das Bernardo jetzt langsam abging, hatten die Reiter Meir ben Helkias vor ihren Pferden hergetrieben wie einen gejagten Fuchs und ihm dabei die Wunden an seinem Rücken beigebracht.
Hier hatten sie ihm den Lederbeutel samt Inhalt abgenommen. Gleich daneben lagen, von Ameisen bedeckt, zwei helle Käse der Art, wie Diego sie beschrieben hatte – der Vorwand des Jungen für seinen nächtlichen Botengang. Ein Käse war noch ganz, der zweite war zerdrückt, wie von einem großen Huf.
Und hier hatten sie ihn vom Pfad in den Olivenhain gejagt, der ihnen zusätzlichen Schutz bot. Hier war er geschändet worden, von einem oder von beiden.
Schließlich hatte man ihm die Kehle durchgeschnitten.
Bernardo wurde schwindelig. Plötzlich fühlte er sich sehr schwach.
Er war noch nicht so weit weg von seiner jüdischen Knabenzeit, um sich nicht mehr an die Angst zu erinnern, an die Furcht vor bewaffneten Fremden, an das Wissen um die Greuel, weil in all den Jahren so viel Böses passiert war. Und er war auch noch nicht so weit weg von seinem jüdischen Leben als Erwachsener, um diese Dinge nicht noch immer zu empfinden.
Einen Augenblick lang war er in seiner Vorstellung dieser Junge. Er hörte sie. Roch sie. Spürte die ungeheuren, bedrohlichen Gestalten der Nacht, die riesigen Pferde, die immer näher kamen, ihn niederritten.
Das grausame Stechen scharfer Klingen. Die Schändung.
Mit einemmal wieder Arzt, wankte Bernardo blindlings auf seine Stute zu. Die Sonne war am Sinken, und er mußte weg von hier. Vielleicht würde es ihm ja erspart bleiben, die Seele Meir ben Helkias' schreien zu hören, aber er hatte trotzdem wenig Lust, sich an diesem Ort aufzuhalten, wenn die nächste Dunkelheit hereinbrach.
4. Das Verhör
E s war so, wie Espina bereits vermutet hatte: Über den Mord an dem jüdischen Jungen und den Raub des Ziboriums fand er nur sehr wenig heraus. Fast alles, was er wußte, hatte er bei seiner Untersuchung der Leiche, der Unterhaltung mit dem Schäfer und der Besichtigung des Tatorts erfahren. Die einzig sichere Erkenntnis nach einer Woche ergebnislosen Herumfragens in der Stadt war, daß er seine Patienten vernachlässigt hatte, und so stürzte er sich wieder in seinen sicheren und tröstenden ärztlichen Arbeitsalltag.
Neun Tage nachdem er in die Abtei zur Himmelfahrt Maria gerufen worden war, beschloß er, am Nachmittag Padre Sebastian zu besuchen. Er wollte dem Priester das wenige berichten, das er hatte in Erfahrung bringen können, und damit seine Tätigkeit in dieser Angelegenheit abschließen.
Sein letzter Patient an diesem Tag war ein alter Mann, der Atemprobleme hatte, obwohl die Luft zur Abwechslung einmal kühl und frisch war, ein ungewöhnlich linder Tag in dieser Zeit der Hitze. Der magere Körper, der vor dem Arzt stand, war ausgezehrt und kraftlos, und es war offensichtlich, daß den Mann mehr plagte als nur das Wetter. Die Haut über dem Brustkorb war wie Leder, die Brust selbst war schleimgefüllt und verstopft. Als Espina das Ohr daran legte, hörte er ein abgehacktes Rasseln. Er war sich ziemlich sicher, daß die Tage des Mannes gezählt waren, das Sterben aber noch einige Zeit dauern würde, und er suchte eben in seinem Arzneibuch nach einem Trank, der dem Alten die letzte Zeit erträglich machen würde, als zwei nachlässig bewaffnete Männer so selbstsicher sein Behandlungszimmer betraten, als wären sie die neuen Besitzer.
Sie stellten sich als Soldaten des alguacil vor, des Vogts von Toledo.
Einer der beiden, ein kleiner Mann mit tonnenförmiger Brust, trug eine gewichtige Miene zur Schau. »Bernardo Espina, Ihr müßt unverzüglich mit uns kommen.«
»Was wünscht Ihr von mir, Señor?«
»Das Offizium der Inquisition befiehlt Euer Erscheinen.«
»Die Inquisition?« Espina bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Nun gut. Wenn Ihr bitte draußen warten würdet. Ich bin mit
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