Der Medicus von Saragossa
Verschlag aus Kiefernbrettern. Der Verschlag war zweigeteilt. Im vorderen Teil stapelte er gehacktes Feuerholz, während er in den hinteren Teil eine niedrige Klapptür einbaute. Die Klapptür erlaubte ihm den Zugang zu dem Geheimzimmer, ließ sich aber, wenn sie nicht gebraucht wurde, hinter aufgestapeltem Feuerholz verstecken.
In den langen, schmalen Raum zwischen den beiden Wänden stellte er einen Tisch und zwei Stühle und versteckte dort alle äußeren Zeichen seines Judeseins – seinen Kidduschkelch, Sabbatkerzen, die zwei medizinischen Bücher auf hebräisch und ein paar vollgekritzelte Blätter mit erinnerten Gebeten, Redewendungen und Legenden.
Am ersten Freitag abend nach Vollendung der Scheune stand er zusammen mit Adriana, die ihren Sohn in den Armen hielt, auf der Hügelkuppe neben Nuños Grab. Gemeinsam blickten sie in den sich verdunkelnden Himmel, bis sie das weiße Glitzern der ersten drei Sterne erkennen konnten.
Zuvor hatte er in der Scheune bereits eine Kerze entzündet, um es nicht nach Beginn des Sabbat tun zu müssen, und in ihrem Licht räumte er nun das Feuerholz weg und öffnete die Klapptür. Er ging als erster hindurch, nahm Adriana dann den Jungen ab und trug ihn gebückt durch die niedrige Tür in den dunklen Raum. Gleich darauf gesellte sich Adriana mit der Lampe zu ihnen.
Es war eine schlichte Feier. Adriana entzündete die Kerzen, und dann sprachen sie gemeinsam den Segen und entboten der Sabbatkönigin den Willkommensgruß. Jona stimmte das Schema an: »Höre, Israel, der Ewige Gott ist ein einiges, ewiges Wesen.«
Mehr an Liturgie gab es nicht.
»Einen friedlichen Sabbat«, sagte er und küßte sie. »Einen friedlichen Sabbat, Ramón.«
Dann saßen sie in dem stillen Raum.
»Schau das Licht«, sagte Jona zu dem Kind.
Er war nicht Abraham und der kleine Junge nicht Isaak, der auf einem Scheiterhaufen der Inquisition zum Märtyrer werden sollte, ein Brandopfer für Gott.
Dieses geheime Zimmer sollte Helkias erst wieder zu sehen bekommen, wenn er zum Mann geworden war.
Jonas Judesein würde in seiner Seele weiterleben, wo niemand es behelligen konnte, und er würde hierherkommen und die ihm heiligen Dinge besuchen, wann immer es sicher war. Wenn es ihm beschieden war, lange genug zu leben, um seine Kinder ins Alter der Vernunft eintreten zu sehen, würde er jeden Sohn und jede Tochter an diesen geheimen Ort führen.
Er würde Kerzen entzünden und fremdartige Gebete anstimmen, und er würde sich bemühen, der nächsten Generation von Callicós ein Verständnis dafür zu vermitteln, wie es früher gewesen war. Er würde Geschichten erzählen – von Großeltern und Onkeln, die das Kind nie kennengelernt hatte, von einem Mann, der mit Geist und geschickter Hand Schönheit aus Metall geformt hatte, von einer verschwundenen Familie, einer untergegangenen Welt. Alles andere, da waren er und Adriana sich einig, lag in Gottes Hand.
Epilog
1. September 2000
D ie beiden Frauen hatten vereinbart, sich am Frankfurter Flughafen zu treffen. Elizabeth Spencer war mit American aus New York gekommen und Rosalyn Toledano mit Lufthansa aus Boston, und sie waren mit Iberia nach Barcelona weitergeflogen, wo sie sich ein Zimmer im Barri Gótic genommen hatten. Sie hatten acht Tage, keine sehr lange Zeit, wie sie beide meinten, aber sie waren enge Freundinnen, deren Lebenswege sich getrennt hatten, und diese Gelegenheit zu einem gemeinsamen Urlaub war ihnen mehr als willkommen gewesen.
Die beiden waren ein interessantes Paar: Betty sportlich und blond, Rosalyn größer und dunkel und so sonnengebräunt, daß sie sich von Betty, die Medizin studierte, eine Moralpredigt über Hautkrebs anhören mußte. Sie waren enge Freundinnen, seit sie sich als Anfangssemester an der University of Michigan ein Zimmer geteilt hatten.
Sie versuchten, das Beste aus den acht Tagen zu machen, und entschieden sich deshalb für jeweils drei Tage in Madrid und Barcelona und dazwischen zwei Tage in Saragossa, das von den anderen beiden Städten etwa gleich weit entfernt war. Obwohl sie sich vorgenommen hatten, in diesem Urlaub nicht zuviel zu besichtigen, fuhren sie mit dem Taxi zum Parque Guell und schauten, voller Staunen über Antonio Gaudis architektonisches Genie; anschließend setzten sie sich auf eine Bank im Schatten und redeten, während in einem nahen Brunnen Gaudi-Echsen Wasser spien. Den Nachmittag verbrachten sie im Picasso-Museum. Abends aßen sie eine Kleinigkeit in einer Tapas-Bar und mischten
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