Der Meister und Margarita
seiner Frau abgerufene Stellvertreter von Berlioz in der Massolit , der Schriftsteller Sheldybin.
Der Wagen hatte Sheldybin abgeholt und ihn samt dem Vertreter der Untersuchungsbehörde zuerst zur Wohnung des Toten gebracht (das war gegen Mitternacht), wo dessen Zimmer versiegelt wurden, dann war man ins Leichenschauhaus gefahren. Jetzt stand man um die sterblichen Überreste des Verblichenen herum und hielt Rat, was besser sei: den abgefahrenen Kopf an den Hals zu nähen oder den Toten für die Aufbahrung im Saal des Gribojedow einfach bis zum Kinn mit einem schwarzen Tuch zu verhüllen.
Ja, Berlioz konnte nirgends mehr anrufen, und es war völlig sinnlos, daß Deniskin, Glucharjow, Quant und Beskudnikow sich lautstark empörten. Punkt Mitternacht verließen die zwölf Schriftsteller das Obergeschoß und begaben sich hinunter ins Restaurant. Hier schmähten sie Berlioz im stillen abermals mit bösen Worten, denn auf der Veranda waren natürlich alle Tische besetzt, und sie mußten in den schönen, doch stickigen Sälen zu Abend essen.
Ebenfalls Punkt Mitternacht hub im ersten Saal ein Dröhnen, Klirren, Scheppern und Schmettern an. Sofort grölte eine dünne Männerstimme lauthals zur Musik: "Haaalleluja!" Die berühmte Tanzkapelle des Gribojedow hatte losgelegt. Die schweißnassen Gesichter schienen aufzuleuchten, die Pferde an der Decke lebendig zu werden, die Lampen helleres Licht zu spenden, und plötzlich, wie von der Kette losgelassen, tanzten beide Säle und auch die Veranda.
Es tanzte Glucharjow mit der Lyrikerin Tamara Polumesjaz, es tanzte Quant, es tanzte der Romancier Shukopow mit einer Filmschauspielerin in gelbem Kleid. Es tanzten Dragunski und Tscherdaktschi, es tanzte der kleine Deniskin mit dem riesigen Steuermann George, es tanzte die schöne Architektin Se-mejkina-Gall, kräftig umfaßt von einem Unbekannten in weißen Segeltuchhosen. Es tanzten Mitglieder und Gäste, Moskauer und Zugereiste, der Schriftsteller Johann aus Kronstadt, ein gewisser Vitja Kuftik aus Rostow, ein Regisseur wohl, dessen eine Wange mit lila Grind bedeckt war, es tanzten die angesehensten Vertreter der Sektion Lyrik innerhalb der Massolit , das heißt Pavianow, Bogochulski, Sladki, Schpitschkin und Adelfin Busdjak, es tanzten junge Leute unbekannter Profession mit Boxerhaarschnitt und dickwattierten Schultern, und es tanzte ein hochbetagter Mann mit Bart, in dem ein Zwieblauchröhrchen hing, mit einem ältlichen, von der Anämie halbverdauten Fräulein, das ein verknittertes orangefarbenes Seidenfähnchen trug. Schweißrieselnd trugen die Kellner beschlagene Biergläser über die Köpfe hinweg und schrien heiser und haßerfüllt: "Vorsehn, Bürger!" Irgendwo kommandierte eine Stimme durchs Sprachrohr: "Ein karisches! Zwei Hammelbraten Subrik! Fleck nach Herrscherart!" Die dünne Stimme sang nicht, sie heulte ihr "Haalleluja!". Bisweilen übertönte das Dröhnen der goldenen Schlagzeugbecken das Scheppern des Geschirrs, das die Abwä-scherinnen über eine schräge Gleitbahn in die Küche beförderten. Kurzum, ein Inferno.
Und es gab um Mitternacht in diesem Inferno eine Vision. Auf der Veranda erschien ein schwarzäugiger schöner Mann mit dolchspitzem Bart, in einen Frack gekleidet, und umfaßte mit herrischem Blick sein Reich. Immer wieder behaupteten Mystiker, es habe eine Zeit gegeben, in der der Schönling keinen Frack trug, sondern einen breiten Ledergurt, aus dem mehrere Pistolengriffe ragten, eine Zeit, in der ein rotes Seidentuch sein glänzend schwarzes Haar umschlang; unter seinem Kommando sei in der Karibischen See eine Brigg mit der schwarzen Toten-kopffahne gesegelt.
Aber nein, nein! Sie lügen, die Schwärmer und Mystiker, es gibt keine Karibische See auf der Welt, und dort segeln keine tollkühnen Flibustier, und sie werden nicht von einer Korvette gejagt, und kein Pulverqualm zieht über die Dünung. Nichts gibt es, nichts hat es gegeben! Da steht die kümmerliche Linde, da ist . das schmiedeeiserne Gitter und dahinter der Boulevard ... Eis schmilzt in der Schale, vom Nebentisch starren blutunterlaufene Stieraugen herüber, und man hat solche Angst... O ihr Götter, Gift möchte man nehmen, Gift!
Plötzlich flatterte am Tisch ein Wort auf: "Berlioz!" Plötzlich zerbröckelte die Musik und verstummte, als habe jemand mit der Faust dazwischengedroschen. "Was, was, was, was?" "Berlioz!" Alles sprang auf, schrie ...
Ja, bei der schrecklichen Nachricht schlug eine Welle von Trauer hoch. Leute hasteten
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