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Der Meister und Margarita

Titel: Der Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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bedeuten? Warum kam Warenucha ins Zimmer des Finanzdirektors, wenn er annahm, daß dieser nicht da sei? Erstens hatte er sein eigenes Zimmer. Und zweitens: durch welchen Eingang er auch immer das Gebäude betreten hatte, er mußte unweigerlich einem der Nachtwächter begegnet sein, und denen war erklärt worden, Rimski habe noch eine Zeitlang in seinem Zimmer zu tun.
    Aber lange dachte der Finanzdirektor nicht darüber nach, er hatte andere Sorgen.
    "Warum hast du nicht angerufen? Was bedeutet das ganze Theater mit Jalta?"
    "Genau, was ich dir gesagt habe", antwortete der Administrator mit einem Schmatzlaut, als schmerze ihn ein kranker Zahn. "Sie haben ihn in der Kneipe in Puschkino gefunden." "In Puschkino? Bei Moskau? Und die Telegramme aus Jalta?" "Was hat denn zum Teufel Jalta damit zu tun! Er hat den Telegrafisten von Puschkino besoffen gemacht, und dann haben die beiden dumme Streiche ausgeheckt, darunter auch die Telegramme angeblich aus Jalta."
    "Aha, aha ... Na schön, schön", sagte Rimski gedehnt. In seinen Augen glomm gelbliches Licht. In seinem Kopf fügte sich das triumphale Bild von Stjopas schmachvoller Absetzung. Er war ihn los! Endlich war er befreit von der Plage Lichodejew! Vielleicht hafte er sich sogar noch Schlimmeres eingebrockt als die Absetzung ...
    "Ausführlich!" Rimski hieb den Löscher auf den Tisch. Warenucha erzählte ausführlich. Als er dort ankam, wohin ihn der Finanzdirektor geschickt habe, sei er sofort vorgelassen und sehr aufmerksam angehört worden. Natürlich glaubte auch dort niemand, Stjopa könne in Jalta sein. Alle hätten sofort Warenu-chas Vermutung aufgegriffen, daß Lichodejew in der Gaststätte ,Jalta" in Puschkino sei.
    "Wo ist er denn jetzt?" unterbrach ihn der Finanzdirektor aufgeregt.
    "Wo soll er schon sein?" antwortete Warenucha mit schiefem Grinsen. "Natürlich in der Ausnüchterungszelle!" "Soso! Na fein!"
    Warenucha setzte seinen Bericht fort, und je länger er erzählte, desto deutlicher entrollte sich vor dem Finanzdirektor die endlose Kette der Lichodej ewschen Streiche und Untaten, und jedes Kettenglied war schlimmer als das vorherige. Allein schon der trunkene Tanz, Brust an Brust mit dem Telegrafisten, auf der Wiese vor dem Telegrafenamt von Puschkino zu den Klängen einer müßigen Ziehharmonika! Die Verfolgungsjagd auf Frauen, die vor Entsetzen quietschten! Der Versuch, den Kantinenwirt im ,Jalta" zu verprügeln! Das Verstreuen gehackten Zwieblauchs auf dem Fußboden des ,Jalta". Das Zerschlagen von acht Flaschen Ai-Danil-Weißwein. Die Zerstörung des Taxameters bei einem Fahrer, der Stjopa nicht seinen Wagen geben wollte. Die Drohung, einige Männer zu verhaften, die Stjopas Schweinereien ein Ende setzen wollten ... Kurz, es war entsetzlich!
    Stjopa war in Moskauer Theaterkreisen gut bekannt, und alle Welt wußte, daß er kein Engel war. Und trotzdem, was der Administrator jetzt von ihm erzählte, das war selbst bei Stjopa nicht drin. Unmöglich ...
    Über den Schreibtisch hinweg bohrten sich Rimskis stechende Augen ins Gesicht des Administrators, und je länger der sprach, desto finsterer blickten diese Augen. Je lebenswahrer und farbenprächtiger die greulichen Einzelheiten klangen, mit denen Warenucha seinen Bericht würzte, desto weniger glaubte ihm der Finanzdirektor. Als jener gar berichtete, Stjopa habe sich nicht entblödet, Widerstand zu leisten, als man ihn nach Moskau zurückbringen wollte, wußte Rimski bereits, daß alles, was ihm der um Mitternacht hereingeschneite Administrator auftischte, erlogen war! Erstunken und erlogen!
    Warenucha war nicht nach Puschkino gefahren, und Stjopa war nicht in Puschkino gewesen. Es gab keinen betrunkenen Telegrafisten, es gab kein zerschlagenes Kneipenfenster, Stjopa war nicht mit Stricken gefesselt worden — nichts von alldem stimmte.
    Kaum war sich der Finanzdirektor klar, daß sein Administrator ihm etwas vorlog, da kroch von den Füßen hier die Angst an seinem Körper herauf, und noch zweimal hatte er das Gefühl, daß faulige malariaträchtige Feuchtigkeit über den Fußboden zog. Er ließ keinen Blick von Warenucha, der seltsam krumm im Sessel kauerte, im bläulichen Schatten der Tischlampe zu bleiben trachtete und erstaunlicherweise eine Zeitung vors Gesicht hielt, da ihn das Lampenlicht vorgeblich störte. Rimski grübelte nur noch, was das Ganze zu bedeuten hatte. Warum log ihm der Administrator, der so spät noch einmal in das stille und verödete Theatergebäude gekommen war, so frech

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