Der Meister und Margarita
Danilowitsch den Kopf wandte, erblickte er eine zweite Dame in rosa Unterwäsche. Die hüpfte vom Fahrdamm auf den Gehsteig und wollte sich im Hause verbergen, doch das herausströmende Publikum versperrte ihr den Weg, und das arme Opfer seines Leichtsinns und seiner Putzsucht, betrogen von der Firma des fiesen Fagott, hatte nur den einen Wunsch, in die Erde zu sinken. Ein Milizionär eilte auf die Unglückliche zu, sein Getriller zersägte die Luft, hinter ihm liefen aufgekratzt junge Männer mit Schiebermüt-zen. Von ihnen kam das Gelächter und Gejohle. Ein magerer schnurrbärtiger Kutscher fuhr eilends auf die erste mangelhaft Bekleidete zu und zügelte mit einem Ruck seinen knochigen Gaul. Sein Gesicht zerfloß in freudigem Grinsen. Rimski schlug sich die Faust vor den Kopf, spuckte aus und sprang vom Fenster zurück.
Einige Zeit saß er am Schreibtisch und horchte auf den Straßenlärm. Das Getriller aus verschiedenen Richtungen erreichte den höchsten Grad und ließ dann allmählich nach. Zu Rimskis Verwunderung war der Skandal überraschend schnell beigelegt. Er mußte handeln, den bitteren Kelch der Verantwortung leeren. Das Telefon war während der dritten Abteilung repariert worden, er mußte anrufen, den Vorfall melden, um Hilfe bitten, sich herauslügen, alles auf Lichodejew schieben, sich selbst absichern und so weiter. Pfui Teufel! Zweimal legte der verstimmte Finanzdirektor die Hand auf den Hörer, und zweimal ließ er wieder los. Plötzlich stieß der Apparat in der Totenstille des Arbeitszimmers von selbst ein gellendes Klingeln in Rimskis Gesicht, so daß er zusammenzuckte und es ihn kalt überlief. Meine Nerven sind schön zerrüttet dachte er und nahm den Hörer ab. Doch sogleich prallte er zurück und wurde weißer als Papier. Eine leise, zugleich aber schmeichelnde und lasterhafte Frauenstimme tuschelte in den Hörer:
"Ruf nicht an, Rimski, nirgendwo, sonst geht's dir schlecht." Sofort war der Hörer wieder tot. Der Finanzdirektor, über dessen Rücken eine Gänsehaut kroch, legte auf und drehte sich zum Fenster um. Durch die noch spärlich mit Grün bedeckten Ahornzweige erblickte er den Mond, der eine dünne Wolke durcheilte. Sein Blick blieb am Gezweig hängen, er starrte, und je länger er starrte, desto heftiger packte ihn die Angst. Mit Willensanstrengung wandte er sich vom Mondfenster ab und stand auf. Vom Anrufen konnte keine Rede mehr sein, er überlegte nur noch, wie er am schnellsten aus dem Theater kam. Er horchte: Das Gebäude war still. Rimski begriff, daß er schon lange allein im ersten Stock war, und bei diesem Gedanken befiel ihn unüberwindliche Kinderangst. Nur zitternd konnte er daran denken, daß er jetzt einsam durch die leeren Korridore gehen und die Treppe hinabsteigen mußte. Fieberhaft harfte er die magischen Zehnrubelscheine vom Tisch, schob sie in die Aktentasche und hüstelte, um sich wenigstens ein bißchen Mut zu machen. Das Hüsteln klang heiser und schwächlich. Auf einmal war ihm, als kröche faulige Feuchtigkeit unter der Tür hervor. Ein Zittern überlief ihn. Dann schlug auch noch eine Uhr zwölfmal. Die Schläge ließen ihn förmlich schlottern.
Und vollends sank ihm das Herz in die Hosen, als er hörte, wie im Türschloß ganz leise der Sicherheitsschlüssel herumgedreht wurde. Rimskis feuchtkalte Hände krallten sich um die Aktentasche; er spürte, daß er, wenn das Kratzen im Schlüsselloch noch etwas länger dauerte, es nicht aushalten und gellend aufkreischen würde.
Endlich gab die Tür den Bemühungen nach und ging auf, und geräuschlos trat Warenucha ein. Rimskis Knie knickten ein, und wie er stand, so fiel er in den Sessel. Er pumpte die Brust voll Luft, lächelte schwach und sagte leise: "Mein Gott, hast du mich erschreckt. .."
Ja, Warenuchas plötzliches Auftauchen konnte einen schon erschrecken, und doch war es für Rimski eine große Freude, denn nun schaute wenigstens ein Fadenende aus dem wirren Knäuel. "So rede doch! Los!" knirschte Rimski, sich an das Fadenende klammernd. "Was bedeutet das alles?"
"Entschuldige bitte", antwortete Warenucha dumpf und schloß die Tür. "Ich dachte, du wärst schon weg." Ohne die Schirmmütze abzunehmen, trat Warenucha zum Sessel und setzte sich Rimski gegenüber.
Es sei erwähnt, daß Warenuchas Antwort etwas merkwürdig war, so daß es dem Finanzdirektor einen Stich gab. An Empfindlichkeit hätte er es jetzt mit jedem Seismographen aus den besten Stationen der Welt aufnehmen können. Was sollte das
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