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Der Meister und Margarita

Titel: Der Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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der Gewalt hatte. Sie verlangte Wein, trank und sagte ruhiger:
    ,So also muß man für eine Lüge bezahlen. Ich will nicht mehr lügen. Ich würde schon jetzt bei dir bleiben, aber ich möchte es doch nicht so tun. Ich will nicht, daß er für immer die Erinnerung behält, ich sei ihm in der Nacht davongelaufen. Er hat mir niemals Böses getan. Sie haben ihn plötzlich abberufen, weil es bei ihnen im Werk brennt. Aber er kommt bald zurück. Morgen früh werde ich mich mit ihm aussprechen, ihm sagen, daß ich einen anderen liebe, und dann für immer zu dir kommen. Oder willst" du das vielleicht nicht? Antworte mir!' ,Mein armes Mädchen', sagte ich ihr. ,Ich dulde nicht, daß du das tust. Mit mir nimmt es kein gutes Ende, und ich will nicht, daß du mit mir zugrunde gehst.' ,Ist das der einzige Grund?' fragte sie und sah mir prüfend in die Augen.
    Ja.' Da wurde sie sehr lebhaft, umarmte mich und sagte: ,Ich werde mit dir zugrunde gehen. Morgen bin ich bei dir. Und nun das letzte, woran ich mich in meinem Leben erinnere: ein Lichtstreifen aus meiner Diele, in der ich ihre aufgelöste Haarsträhne sah, ihr Baskenmützchen und ihre entschlossenen Augen. Außerdem erinnere ich mich an ihre schwarze Silhouette auf der Schwelle der Außentür und an die weiße Heftrolle.
    ,Ich würde dich begleiten, aber ich habe nicht die Kraft, allein zurückzugehen, und ich fürchte mich.' ,Hab keine Angst. Halte noch ein paar Stunden aus. Morgen früh bin ich bei dir.' Das waren ihre letzten Worte in meinem Leben . .. Pssst!" unterbrach sich der Kranke plötzlich und hob den Finger. "Wir haben heute eine unruhige Mondnacht." Er verschwand auf dem Balkon. Iwan hörte im Korridor eine Pritsche vorüberrollen, jemand schluchzte oder schrie leise auf. Als es wieder still war, kam der Meister zurück und berichtete, auch das Zimmer 120 habe einen Bewohner erhalten. Man habe einen Mann gebracht, der fortwährend barme, ihm seinen Kopf zurückzugeben. Die beiden schwiegen verstört, doch nachdem sie sich beruhigt hatten, kehrten sie zu der unterbrochenen Erzählung zurück. Der Gast öffnete eben den Mund — aber es war wirklich eine unruhige Nacht. Noch immer ertönten Stimmen auf dem Korridor, und der Besucher sprach so leise in Iwans Ohr, daß seine Worte nur diesem bekannt wurden mit Ausnahme des ersten Satzes: "Eine Viertelstunde, nachdem sie mich verlassen hatte, klopfte es bei mir ..."
    Was er Iwan jetzt ins Ohr flüsterte, schien ihn sehr zu erregen. Immer wieder zuckten Krämpfe über sein Gesicht. In seinen Augen jagten .sich Angst und Wut. Mit der Hand zeigte er in Richtung des Mondes, der schon längst vom Balkon verschwunden war. Erst als von draußen keine Geräusche mehr zu hören waren, rückte der Gast von Iwan ab und sprach lauter: ,Ja, es war inzwischen Mitte Januar geworden, da stand ich nachts in demselben Mantel, aber mit abgerissenen Knöpfen wieder auf meinem kleinen Hof und krümmte mich vor Kälte. Hinter mir die Fliedersträucher lagen in Schneewehen vergraben, zu meinen Füßen sah ich die schwachbeleuchteten geschlossenen Vorhänge meines Fensters. Ich legte mich hin und horchte am ersten Fenster — in meinem Zimmer spielte ein Grammophon. Das ist alles, was ich hörte, sehen konnte ich nichts. Nachdem ich noch ein Weilchen dagestanden hatte, trat ich durch die Pforte hinaus in die Gasse. In der Gasse spielte der Schneesturm. Ein Hund, der mir zwischen die Beine fuhr, erschreckte mich, und ich rannte auf die andere Straßenseite. Die Kälte und die Angst, die mein ständiger Begleiter geworden war, brachten mich zur Raserei. Ich wußte nicht wohin, und das einfachste wäre gewesen, mich in der Straße, in die meine Gasse mündete, vor die Bahn zu werfen. Ich sah von weitem die erleuchteten und vereisten Kästen und hörte ihr widerwärtiges Kreischen in der Kälte. Aber, mein lieber Nachbar, die Sache war die, daß die Angst jede Faser meines Körpers beherrschte. Genauso wie den Hund fürchtete ich die Straßenbahn. Ja, eine schlimmere Krankheit als meine gibt es in diesem Hause nicht, das können Sie mir glauben!"
    "Aber sie konnten ihr doch eine Nachricht schicken", sagte Iwan mitfühlend. "Außerdem hat sie Ihr Geld. Sie wird'es doch aufbewahrt haben?"
    "Ohne Zweifel. Aber Sie scheinen mich nicht zu verstehen. Genauer gesagt, ich habe wahrscheinlich meine frühere Fähigkeit eingebüßt, etwas zu schildern. Übrigens tut es mir nicht sonderlich leid darum, denn ich brauche diese Fähigkeit nicht mehr. Sie

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