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Der Meister und Margarita

Titel: Der Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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hätte" — der Gast blickte andächtig hinaus in die nächtliche Finsternis — "einen Brief aus dem Irrenhaus vor sich liegen gehabt. Kann man etwa einen Brief schicken, wenn man so eine Adresse hat? Als Geisteskranker? Sie scherzen, mein Freund! Soll ich sie unglücklich machen? Nein, dazu bin ich außerstande."
    Iwan wußte darauf nichts zu erwidern, aber schweigend fühlte und litt er mit seinem Besucher. Dieser nickte in der Qual seiner Erinnerungen mit dem Kopf im schwarzen Mützchen und sprach:
    "Arme Frau ... Übrigens habe ich die Hoffnung, daß sie mich vergessen hat."
    "Aber Sie können gesund werden", sagte Iwan schüchtern. "Ich bin unheilbar", antwortete der Gast ruhig. "Wenn Strawinski sagt, er werde mich dem Leben zurückgeben, glaube ich ihm nicht. Er ist menschlich und will mich schlicht trösten. Im übrigen bestreite ich nicht, daß es mir schon viel besser geht. Ja, wo waren wir stehengeblieben? Die Kälte, die sausenden Straßenbahnen ... Ich wußte, diese Klinik war schon eröffnet, und lief durch die ganze Stadt hierher. Wahnsinn! Nachdem ich aus der Stadt heraus war, wäre ich mit Sicherheit erfroren, wenn mich nicht der Zufall gerettet hätte. Ein Lastauto hatte eine Panne, ich sprach den Fahrer an, es war etwa vier Kilometer außerhalb der Stadt, und zu meiner Verwunderung erbarmte er sich meiner. Der Wagen fuhr hierher, und er nahm mich mit. Ich kam mit angefrorenen Zehen am linken Fuß davon. Aber das wurde kuriert. Jetzt bin ich schon den vierten Monat hier. Wissen Sie, ich finde, es ist hier gar nicht so schlecht. Hier brauche ich keine großen Pläne zu schmieden, mein lieber Nachbar, wirklich nicht! Ich wollte zum Beispiel die ganze Welt bereisen. Na schön, das ist mir eben nicht beschieden. Ich bekomme nur ein unbedeutendes Stück von ihr zu sehen. Es ist nicht das allerbeste, glaube ich, aber ich wiederhole, das ist nicht so schlimm. Bald kommt der Sommer, und Praskowja Fjodorowna sagt, auf dem Balkon wird Efeu ranken. Die Schlüssel haben meine Möglichkeiten vergrößert. In den Nächten wird der Mond scheinen. Ach, er ist schon weg! Es wird frisch. Mitternacht ist vorüber. Ich muß gehen." "Sagen Sie mir noch, was weiter mit Jeschua und Pilatus geschah", bat Iwan. "Ich flehe Sie an, ich möchte es wissen." "Ach nein, nein", antwortete der Gast, und sein Gesicht zuckte krampfhaft. "Ich kann mich nicht ohne Schaudern an meinen Roman erinnern. Ihr Bekannter von den Patriarchenteichen könnte das besser als ich. Vielen Dank für das Gespräch. Auf Wiedersehen."
    Und ehe Iwan sich's versah, hatte sich das Gitter leise klirrend geschlossen, und der Gast war verschwunden.
14 Gepriesen sei der Hahn!
    Die Nerven streikten, wie es so schön heißt, und Rimski wartete nicht ab, bis das Protokoll fertiggestellt war, sondern floh in sein Zimmer. Er setzte sich an den Tisch, starrte mit entzündeten Augen auf die magischen Zehnrubelscheine vor sich und wußte nicht, wo ihm der Kopf stand. Von draußen drang gleichmäßiges Stimmengewirr herein. Das Publikum strömte aus dem Variete auf die Straße. Rimskis geschärftes Gehör vernahm plötzlich das Trillern einer Milizpfeife. So ein Trillern verheißt niemals Angenehmes. Als es sich wiederholte und eine zweite Pfeife einfiel, noch gebieterischer und ausdauernder, und als sich deutlich Gelächter und sogar Spottgejohle dazugesellten, wußte der Finanzdirektor sofort, daß auf der Straße etwas Skandalöses und Anstößiges geschah. Und daß dies, wie gern er es auch nicht wahrgehabt hätte, eng zusammenhing mit der abscheulichen Vorstellung des Schwarzen Magiers und seiner Assistenten. Der feinfühlige Finanzdirektor hatte sich nicht geirrt. Kaum schaute er aus dem Fenster hinunter auf die Sadowaja, da verzerrte sich sein Gesicht, und er zischte: "Ich hab's ja gewußt!"
    Im hellen Licht der starken Straßenlampen erblickte er auf dem Gehsteig direkt unter sich eine Dame, die nichts anhatte als ein Hemdchen und violette Schlüpfer, immerhin noch ein Hütchen auf dem Kopf und einen Schirm in der Hand. Rings um die verstörte Dame, die bald niederkauerte, bald da-vonstürzen wollte, stand eine erregte Menge, die jenes Gelächter hören ließ, von dem es dem Finanzdirektor eiskalt über den Rücken lief. Neben der Dame zappelte ein Mann herum, der sich den Sommermantel herunterreißen wollte und sich vor Aufregung mit der Hand im Ärmel verhedderte. Geschrei und brüllendes Gelächter waren auch vom linken Ausgang her zu hören, und als Grigori

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