0308 - Im Bann der Höllensteine
Ellen Behan schaute auf die Tasse in ihrer Hand und sah, daß der Tee überzuschwappen drohte.
So sehr zitterte sie. Aber sie brauchte den Tee, sie hatte schon immer Tee getrunken. In den letzten fünf Jahren war die Menge um das Dreifache gewachsen, denn fünf Jahre lag es zurück, daß ihr Mann Morg ihr eines Abends erklärt hatte, er wollte nur mal eben weg, um Zigaretten zu holen. Er ging auch und blieb verschwunden.
Seit fünf Jahren war er nicht mehr zurückgekommen. Auf den Tag genau. Es war wieder Januar und wieder kalt. Schnee rieselte vom Himmel. Er hatte den kleinen Garten bereits mit einem weißen Tuch überzogen und ließ die krummen Bäume aussehen wie erstarrte Eisdämonen.
Wie jeden Abend schaute Ellen in den Garten, wenn sie an dem kleinen Tisch nahe des Fensters hockte und ihren Tee trank.
Daneben lag die Schachtel mit den Zigaretten. Gefüllt mit Glimmstengeln.
Wenn Ellen zu Bett ging, war die Schachtel jedesmal leer. Die Kanne mit Tee ebenfalls. Sie brauchte beides.
Vor genau fünf Jahren hatte sie mit dem Rauchen angefangen. An dem Abend, als Morg verschwand. Und nun rauchte sie innerhalb von drei bis vier Stunden eine Schachtel leer.
Nur so konnte sie die Einsamkeit überwinden. Vielleicht war es auch eine Rache an ihm, der sie so schmählich im Stich gelassen hatte, und das nach 21 Jahren Ehe.
Eine Schönheit war Ellen nicht mehr. Mit 46 sahen andere Frauen noch attraktiv aus. Sie nicht mehr. Gezeichnet von den Sorgen des Lebens, hatten sich in ihrem Gesicht die Falten schlagartig vermehrt.
Die Haut war grau geworden. Morgens erinnerte sie oft an eine alte Ruine. Auch das einst so weiche Haar mit dem feuerroten Farbton zeigte eine unnatürliche Blässe.
Nein, an ihr war nichts mehr attraktiv. Deshalb konnte sie sich gut vorstellen, daß Morg inzwischen eine andere gefunden hatte.
Schließlich war er ein Mann und auch erst 50.
»Cheerio, Morg! Auf den Tag deines unseligen Verschwindens«, sagte sie und hob die Tasse.
An diesem Abend hatte sie den Tee mit Rum »gewürzt«. Ein Verhältnis, das ihrer Ansicht nach stimmte.
Eins zu eins.
Sie trank. Zur Hälfte leerte sie die Tasse, stellte sie ab und griff nach der ersten Zigarette. »Auch die qualme ich auf dich, du verfluchter Bastard!« Sie war verbittert, sauer, auch müde, und sie dachte daran, daß sie keine Freunde mehr hatte. Sie alle wandten sich ab, nachdem Morg Behan verschwunden war. Was sollte man mit einer Frau anstellen, der der Ehemann weggelaufen war?
Nichts mehr…
Das billige Wegwerf-Feuerzeug warf eine hocheingestellte Flamme.
Knisternd fraß sich die feurige Spitze in das Ende der Zigarette.
Es waren filterlose Glimmstengel. Pechschwarz der Tabak, sehr stark.
Eigentlich etwas für Männer.
Ellen lachte hart auf, als sie daran dachte. »Für Männer, das ist gut«, flüsterte sie. »Ist wirklich gut. Die hasse ich doch, die verdammten Kerle. Sie sollen sich zum Teufel scheren und in der Hölle braten. Mein guter Morg an erster Stelle. Cheerio, du Hundsfott!«
Wieder hob sie die Tasse. Diesmal leerte sie das kleine Gefäß bis zum Grund. »Ich möchte auf dich spucken, ich will dich nicht mehr sehen…« Sie spie die Worte zusammen mit dem Rauch aus, der seinen Weg durch die Lunge längst hinter sich hatte.
Es schneite auch weiterhin. Lautlos sanken die Flocken der Erde entgegen. Sie kamen, blieben liegen oder tauten weg.
Und Morg war verschwunden.
Schon oft hatte sich die Frau die Frage gestellt, wie sie wohl reagieren würde, wenn er plötzlich zurückkam. Eine Antwort hatte sie nicht gefunden. Wahrscheinlich würde sie gar nichts tun und ihn nicht einmal danach fragen, wo er gewesen war. Morg war erwachsen, er konnte tun und lassen, was er wollte.
Seinen Job als Kraftfahrer war er los. Er hatte seiner Frau auch nichts hinterlassen, so war Ellen froh gewesen, in einer Fabrik, die Teile für Video-Spiele herstellte, Arbeit zu bekommen. Zum Glück lief das Geschäft. Die Nachfrage wuchs sogar.
Sie drückte die erste Zigarette aus und griff automatisch nach der zweiten. Die Fingerspitzen berührten schon fast die Stäbchen, als sie von der Straße her ein Geräusch hörte.
Ellen wohnte in einem winzigen Haus, das sie von ihren Eltern geerbt hatte. Zudem war es eine ruhige Gegend. Da fiel es auf, wenn ein störendes Geräusch die Stille unterbrach.
Wie dieses Motorbrummen!
Morg war Trucker gewesen. Oft genug hatte einer seiner großen Wagen vor dem Haus gehalten, und Ellen hatte es im Laufe der Zeit
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