Der mieseste Liebhaber der Welt
noch so zetern. Na gut, ich hatte in Frauenmagazinen viel über Sex und den Bestseller ›Der Frauenflüsterer‹ geschrieben.
Und für meine »Date Diary« Kolumne gehörte es nun mal dazu, sich mit Frauen zu treffen, das steckte ja quasi schon im Titel.
Das war alles rein professionell. Ich behaupte nicht, dass das eine besonders ehrenhafte Arbeit gewesen ist, aber ich war
gut darin und es war immer noch besser, als
richtig
zu arbeiten. Doch mit logischer Argumentation war den Herren Bedenkenträgern in der Sendung ja nicht beizukommen. Der Gipfel
war dieser Psychologe, der vom Sender für seine passenden Tiraden wohl ordentlich geschmiert worden war: »Wenn ich Sie so
höre«, sagte dieser unverschämte Vogel, »dann sind Sie eines dieser klassischen Hamsterradopfer. Sie versuchen über entkoppelten,
anonymen Sex Ihr Bedürfnis nach Nähe und Bindung aufzuarbeiten, doch Ihre Sexkontakte bleiben unbefriedigendund die sozialen Kontakte körperlos. Sex kann ja für Menschen mit fehlenden sozialen Fertigkeiten wie eine Droge sein.«
Fehlende soziale Fertigkeiten? Was würde als Nächstes kommen? Ich fühlte mich schon lange nicht mehr, als würde ich hier mein
Buch bewerben. Das hier war der verdammte »heiße Stuhl«. Ich dachte, diese Sendung sei wegen Verstoßes gegen die Genfer Konvention
längst abgesetzt worden – und nun wurde sie offenbar mit mir wieder recycelt. Ich sank immer tiefer in meinen Sessel. Warum
schenkten die mir nur immer wieder Wasser nach? Ich hätte einen doppelten Bushmills gebrauchen können. (Als ich das in der
Sendung dachte, huschte mir kurz der Gedanke an Marlene Monheim durch den Kopf und ich musste schmunzeln. Vielleicht war ich
doch nicht
ganz
normal.)
Zum Glück wurde darauf verzichtet, auch noch einen Geistlichen in die Sendung zu laden. Das schien selbst dieser Redaktion
ein wenig
zu
billig zu sein. Stattdessen zitierte der Talkmaster ein paar Stellen aus meinem Buch. Hauptsächlich die Einschätzungen »meiner«
Frauen, wie es um meine Fertigkeiten als Liebhaber bestellt sei. Dann erteilte mir Kerner das letzte Wort. Ich solle, sozusagen
abschließend, auch die Gelegenheit für ein kurzes Plädoyer erhalten, man sei schließlich an fairem Miteinander interessiert.
Einen Moment war ich perplex. Eine Stunde hatte man mich jetzt schon öffentlich gesteinigt, und nun sollte ich was zu meiner
Verteidigung vorbringen? Lief das normalerweise nicht andersrum? Ich war viel zu angeschlagen, um noch einen klaren Gedanken
fassen zu können. Mir blieb nur die Flucht nach vorn.
»Meine Botschaft an die Welt da draußen lautet: Habt Spaß und bereut es nicht, das Leben ist zu kurz, um allen Versuchungen
zu widerstehen, wer weiß, ob sie wiederkommen.« Uneinsichtiger Stolz ist allemal besser als öffentlichesWinseln, auch wenn ich reflexartig Oscar Wilde paraphrasierte, um einigermaßen respektabel zu klingen. Es gab auch ein paar
müde Lacher aus dem Publikum dafür, immerhin. Kerner spielte den Betroffenen.
»Herr Perry, verstehe ich Sie richtig: Sie würden Ihre Lebensweise auch dann nicht aufgeben, wenn Sie die Liebe Ihres Lebens
finden würden?« Dieser Schleimer. Was sollte man darauf sagen?
»Falls dieser unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, dann schwöre ich der Vielweiberei ab und stelle im Kölner Dom eine
große Kerze auf«, flapste ich den Mann an, doch der schaute mich nur stumm und ernst an, das Rotlicht der Kamera brannte erbarmungslos
weiter. Ich verplemperte kostbare Sendezeit. Und dann hatte er mich so weit:
»Na gut. Auch ich wünsche mir, dass der Mensch meines Lebens plötzlich vor mir steht und mein Suchen beendet. Dann würde ich
wohl versuchen, auf diesen ganzen oberflächlichen Sex zu verzichten.«
»Haben Sie so einen Menschen denn noch nie getroffen?«
Ich dachte an Maria. Das war vermutlich ein wenig zu früh. Ich dachte an Magdalena. Das war vermutlich ein wenig zu vage.
»Nein, nicht wirklich!«, antwortete ich also. Kerner schaute mich traurig an und nahm meinen Arm. Dann trailerte er die Zuschauerumfrage
an.
»Glauben Sie, dass Marcus Perry, der Frauenflüsterer, wirklich der mieseste Liebhaber der Welt ist? Entscheiden Sie jetzt!«
Ich fasste es nicht, an diesem Abend kam es immer noch schlimmer: Das Saalpublikum durfte nun über meinen Buchtitel abstimmen.
Dreißig Sekunden später leuchtete das Ergebnis auf einer großen Leinwand auf.
Antwort A: Ja 62 Prozent
Antwort B: Nein 38
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