Der Minus-Mann
Calvados.
Lange bleibe ich unter der Dusche, das Wasser rinnt lau. Ich binde mir ein Handtuch um die Hüften, dann kommt das Mädchen mit dem Schnaps. Mit einer Zigarette, dem Schnaps und den Briefen lege ich mich auf das Bett.
Helga aus Koblenz.
Anja – aus Wien.
Nein. Ihr braucht mich nicht und ich euch nicht. Ihr lebt in Geleisen, spurtreu, mit viel Sicherheit. Morgens und abends und immer die Frage, ist auch noch alles vorhanden, greifbar und verständlich. Ihr kennt kein hungriges Morgen, kein totes, vergessenes Gestern. Ihr hängt mir zum Hals heraus. Die Vergangenheit, oder besser, die noch eben existente Gegenwart klopft an. Gesichter schwimmen vorbei. Gesten, Worte oder mehr? Ich will nichts mehr erinnern. Da ist der Schmerz, hat ihren Namen … Stella. Wie oft in den Wind gebrüllt, in den Sand geschrieben? Sie ist in einem nebelfernen Land geblieben. Sie lebt in ihren glatten Tagen.
Die Briefe gleiten zu Boden, der Calvados ist warm in meiner Kehle, der schwarze Tabak brennt leicht auf der Zunge.
Ich nehme die Pistole aus dem Halfter. Es ist eine Mauser, Kaliber 7,64. Ich schiebe sie unter den Kopfpolster, dann lege ich mich wieder auf das Bett. Trinke, rauche, warte.
Eine knappe Stunde, es klopft. Getürmt und verschlungen liegt die gelbe Flut um den Kopf. Ein blauer Mini, gleichfarbige, hohe Stiefel.
Ein toller Kampfanzug. Dahinter der Mac.
Gedrungen, dunkel, im Hemd. Wache, lackschwarze Augen im breiten Gesicht. Zähne blitzen. Er streckt mir die Hand entgegen, ist mir unsympathisch. »Da ist Christian. Ich habe ihn drüben im Bistro auf der Place de Gaulle getroffen. Ich habe ihn mitgebracht, weil … ich glaube, daß du ihn sprechen wolltest«, sagt sie.
Seine Augen wieseln über mich. Wir schütteln uns die Hände. Die Pistole hinter dem Polster drückt in meinen Rücken. Ich bin groß und nicht schmal, aber er ist breit, die Muskeln dehnen das Hemd.
Hinter meiner Stirn klopft ein Alarm. Das Mädchen lächelt, dumm und lieb. Sie sitzt neben mir am Bett. Der Mac bleibt kalt.
»Was willst du?« frage ich.
»Sie hat mir von dir erzählt, und ich dachte …«, er zögert.
»Was?« sage ich.
»Du bist Ausländer, trägst eine Waffe, vielleicht hast du Schwierigkeiten«, sagt er und setzt sich dann auf den Sessel neben der Balkontüre.
»Nein«, sage ich. Das Mädchen fingert unter dem Handtuch an meinem Schwanz.
»Du willst hierbleiben?« sagt er und zündet eine Zigarette an. Das Mädchen küßt meine Brust, den Bauch.
Der Mac verzieht keinen Muskel.
»Christian kann dir hier vieles zeigen. Er kennt auch ein paar gute Leute«, sagt das Mädchen und schmust meinen Schenkel entlang.
Was sollte mich interessieren?
Was will der Mac?
»Ich weiß nicht, ob ich hierbleibe, aber, jetzt möchte ich mich anziehen«, sage ich.
»Wir warten auf der Place de Gaulle«, sagt er und drückt die Zigarette aus. Dann steht er neben der Türe.
»Du brauchst nicht zu warten«, sage ich langsam, »und sie bleibt hier.«
Für einen Pulsschlag sinkt sein Lächeln, dann nickt er mit kalten Augen.
»Wir können uns auch später treffen«, sagt er. Leise schließt er die Türe.
»Komm her!« sage ich zu ihr. Wiegend kommt sie. Ich beuge sie über den Tisch.
»Cherie, ja«, sie stößt den Hintern gegen mich. Dann ficke ich sie in den rosigen Fleischstern.
Meine Finger krallen in die hellen Halbkugeln. Sie wimmert leise, dann schreit sie auf. Mir schrumpfen die Eier. Es rinnt, und der Geruch stört mich nicht. Im Bad wäscht sie mir die Scheiße von der Eichel. »Ich dachte, du willst ihn sehen«, sagt sie unsicher.
Ich betrachte mein Gesicht im Spiegel. Hohle Wangen, breite Jochbeinbögen, die zerschlagene Nase, die Grube im Kinn.
Ruhe möchte ich haben, Ruhe.
Vom Balkon schaue ich auf die Börse hinunter. Dampfig schwer und unbeweglich ist die Luft. Monique lehnt am Türpfosten, sieht mich an.
»Wenn du willst, fahren wir sofort weg, nach Nice oder Cannes. Nimm mich mit«, sagt sie, kommt näher.
»Nein«, sage ich, »wir bleiben hier in Marseille.«
Beklemmende Bilder, im Rauch und dahinter. Ich bin anwesend, nicht mehr. Es nagt. Es frißt. Das Mitgebrachte. Das Dreckige. Die Welt geht auf ausgetretenen Wegen, spricht ihre leichte, flatternde Sprache. Nichts Grausames, Direktes klingt an. Man tötet noch immer lächelnd, gewichtslos.
Da bin ich nun, die Dirne, der Hafen, die Straßen mit denselben Namen, die Geher, Steher, Redner und Zuhörer. Es ist doch nicht verändert gegenüber der
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