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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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der Wand, wo die Türe war, ist nichts mehr, was auf eine vorhanden gewesene Öffnung hinweist. Sie – Vater und Mutter – sind doch eine Einheit, und das ist jetzt nicht mehr sicher. Es war doch so selbstverständlich, dass sie zusammengehörten … es störte mich auch nicht allzusehr, dass Vater oft verreist war – wenn er nach Hause kam, erzählte er von Wäldern und den Feinden an irgendeiner verschwommenen Grenze, den Russen und wie er gegen sie kämpfte. Er hat im Rucksack einen Hammer, und mit dem hämmert er sein Zeichen in die Baumstämme. Er muß viele Baumstämme anschauen, und die gesunden sucht er aus. Daraus werden dann Eisenbahnschwellen gemacht. Vater – er ist da und ich kann ihn nicht fortschicken, obwohl ich das jetzt gerne möchte – aber wenn ich groß bin, werde ich es tun, wenn ich groß bin – wie Männer eben groß sind, oder noch besser, ein Stückchen größer und reich. So reich wie Vaters Chef, der dicke Mann mit den kleinen, harten Augen und dem großen, neuen Auto, in dem mir schlecht geworden ist, als er Mutter und mich einmal ein kurzes Stück mitnahm. Ja, wenn ich groß bin, dann werde ich ihn wegschicken, und Mutter bleibt bei mir. An Vater zu denken ist unangenehm. Warum ist es so unangenehm? Die Frau da und die Bewegungen, dann vermeine ich die Laute wieder zu hören …
    Ich sitze und schaue zu Monika, die versucht hat, einen Schneemann zu bauen. Sie trägt eine Schneekugel, den Kopf, dann läßt sie sie fallen und die Kugel zerbricht. Sie dreht sich zu mir, lacht und winkt. Ich kann nicht zurücklachen, ich habe einen Kloß in der Kehle und die Stufe ist kalt.
    Ich habe nicht oft geweint und wenn, dann lautlos und in der Nacht. Mein Vater, der Mann in dem Haus da drüben, hat immer gesagt: »Du hast nicht zu heulen, oder du bist ein Mädchen, prügel dich, und bevor du zu heulen beginnst, schlag lieber noch einmal hin, klar!«
    Ich merkte es mir, manchmal war es mir schwergefallen. Bei den Ohrfeigen und Prügeln, die ich von ihm bekam. Ich habe die Tränen eben hinuntergewürgt, weinte nie, nur manchmal – nachts, leise, allein.
    Mutter kommt nicht. Das Mädchen ist ins Haus gegangen. Ich bin zornig und ohnmächtig. Er, er soll bei der gelbhaarigen Frau bleiben, Mutter und ich werden fortgehen, am besten gleich jetzt - ohne auf Wiedersehen zu sagen –, einfach weggehen. »Heinz!« Dann wieder: »Heinz«, es ruft mein Vater. Groß und drohend ist seine Gestalt im schwindenden Licht. Widerwillig stehe ich auf und gehe ihm entgegen. Ich will nicht gehorchen – ihm nicht – dann flackert es auf – tief in der Brust – anrennen will ich gegen ihn …

 
    1956
     
    Alter Staub tanzt in die Lichtbalken. Schräge, ausgeleuchtete Pyramidenstümpfe fallen durch die niedrigen Fenster. Auf die Hobelbank, auf die Bretter am gestampften Lehmboden. Die Wände, ehemals weiß gekalkt, sind mattgrau. Ein alter, wurmzerfressener Kastenlehnt dagegen. Eine dunkel gebeizte Truhe steht daneben, massive, an den Kanten gerostete Beschläge sind mit einem großen Vorhängeschloß verbunden. Maiskolben, goldfarben, mit lichten, spröden Blättern hängen an Stangen von der Decke zum Trocknen. Eine Fliege summt um den rundgeschlagenen Amboß auf der Werkbank. Stemmeisen, Hobel, Feilen, Bohrer hängen an einem Werkzeugbrett zwischen den Fenstern. Eine große Marktwaage steht verstaubt in einer Ecke, Gewichtsstücke liegen am Wägebrett.
    Der alte Mann sitzt auf einem geschweiften Lehnstuhl neben dem Kasten. Den linken, den steifen Fuß hat er geradegestreckt. Er liest in einem abgegriffenen Gebetbuch. Er ist achtzig und mein Großvater. Er legt das Buch auf die Truhe, greift nach seiner Pfeife. Langgeschwungen, mit großem, geräumigem Kopf, hängt sie in einer Schlaufe am Kasten, in Griffweite. Unter dem Brustlatz seiner großen blauen Schürze kramt er nach dem Tabaksbeutel, dann stopft er zwei Prisen von dem dunklen Kraut in die Pfeife und zündet sie an. Er raucht, spuckt dann zwischen die Bretter auf den Fußboden und wartet ohne Ungeduld.
    »Vor zwei Monaten haben sie mich geholt, jetzt schicken sie mich wieder in ein Heim«, sage ich.
    Seit einer Stunde hockte ich auf der Hobelbank, schnitze an einem Stück Rinde. Der alte Mann wußte genau, daß etwas Unangenehmes passiert war, aber er drängte mich nie zu reden. Er saß da, und ich merkte seine stille Freude über mein Kommen. Die Türe, nur angelehnt, knarrt leise. Eine von Großvaters vier Katzen, ein breitschädeliger, würdevoller

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