Der Wettlauf zwischen dem Zwerg und der Prinzessin (Die Märchen um Zwergenkönig Jetts Söhne)
Es war einmal eine wunderschöne menschliche Prinzessin namens Diana. Sie war gertenschlank und von sehr hohem Wuchs. Mit ihrer außergewöhnlichen Körpergröße überragte sie all ihre Schwestern, sämtliche Hofdamen und auch so manchen Mann. Aber im Königreich gab es genügend kräftige und hochgewachsene junge Männer von edlem Stand. So machte sich niemand Sorgen, Diana werde wegen ihrer Größe keinen passenden Mann finden. Sie selbst war stolz auf ihre Größe und hatte sich geschworen, niemals einen Mann zu heiraten, auf den sie hinabblicken musste.
Das Königreich grenzte an eine Gebirgskette, dem Reich der Zwerge. Die Zwerge ließen sich nur selten unter den Menschen sehen. Manchmal kamen sie zu den großen Festen oder boten zu den Markttagen ihr kunstvoll bearbeitetes Edelmetall feil. Im Allgemeinen blieben sie lieber für sich. Nur wenn es darum ging, das menschliche Königreich vor seinen Feinden zu verteidigen, waren sie stets zur Stelle. Die von ihnen geschmiedeten Waffen waren die besten der Welt, und ihre Kampfkünste waren weit und breit gefürchtet.
Um den Bund zwischen den Menschen und den Zwergen zu erhalten, gab es seit grauer Vorzeit die Tradition, dem jeweiligen Zwergenkronprinzen eine menschliche Königstochter zur Frau zu geben. Nun trug es sich zu, dass sich der alte Zwergenkönig Jett nach fünfhundert Jahren Herrschaft endlich zur Ruhe setzen wollte, um sich mit seiner Frau Anita die letzten hundert Jahre seines Lebens auf Reisen zu begeben, wie er es ihr vor vielen, vielen Jahren in ihrer Jugend versprochen hatte. Seine letzte Amtshandlung als König sollte die Verheiratung seines Sohnes Apos sein, denn ein Junggeselle konnte unmöglich den Zwergenthron besteigen. Deshalb sandte Jett seinen jüngsten Sohn Hanno als Brautwerber zu den Menschen.
König Rainer war von dem Anliegen der Zwerge maßlos überrascht. Nach fünfhundert Jahren war die Tradition bei den Menschen in Vergessenheit geraten. Der königliche Haushalt geriet in Aufruhr. Aber da die Zwerge wichtige Verbündete des Reiches waren, konnte man sich ihren Wünschen nicht so ohne weiteres verweigern. Des Königs Ratgeber wälzten in alten Dokumenten und berichteten ihm schließlich, dass Jetts Forderung nach einer menschlichen Königstochter als Braut für seinen Sohn zu Recht erhoben wurde.
"Weshalb weiß ich nichts von dieser Tradition?", fragte Rainer seine Ratgeber mit vor Zorn gerötetem Haupt.
"Weil die Zwerge eine viel längere Lebensspanne haben als die Menschen", erwiderte der weiseste von ihnen. "Zwergenkönig Jett ist wahrscheinlich über siebenhundert Jahre alt. In den Dokumenten ist verzeichnet, dass er vor fünfhundert Jahren die menschliche Prinzessin Anita, eine eurer Ahninnen, zur Frau genommen hat. Seitdem herrschte er mit ihr an seiner Seite über die Zwerge. Die Zwerge haben also nur sehr selten Bedarf an menschlichen Prinzessinnen. Wahrscheinlich ist diese Tradition über den viel schnelleren menschlichen Generationenwechsel bei uns in Vergessenheit geraten."
"Du glaubst, Anita lebt noch? Wie kann das sein?", verlangte Rainer zu wissen.
"Vermutlich ist sie durch ihr Leben an Jetts Seite ständig der Zwergenmagie ausgesetzt, die ihren Alterungsprozess verlangsamt", sagte der Weise.
König Rainer nickte bedächtig, wie er es immer tat, wenn er noch nicht bereit war, eine Entscheidung zu treffen. Welche seiner fünf heiratsfähigen Töchter sollte er zu den Zwergen schicken? Rainer ließ die zahlreichen wertvollen Geschenke, die der Bote mitgebracht hatte, im Thronsaal ausbreiten und eine Tochter nach der anderen begutachtete die Präsente. Sie waren alle begeistert von der Pracht des Goldes, der Juwelen, der edlen Stoffe und der kunstvoll gearbeiteten Möbelstücke. Doch alle zuckten sie zurück, als sie erfuhren, wer der Bewerber war. Einen Zwerg? Eine Kreatur, die sich durch Gestein wühlte und in tiefen unterirdischen Gewölben lebte? Ein ekelerregendes verwachsen Ding, das kaum größer war als der Tisch im Speisesaal des Schlosses? Wie konnte man derartiges einer edlen Prinzessin nur zumuten?
Die Hoffnung König Rainers, eine seiner Töchter würde sich freiwillig um die Sicherheit des Reiches Willen zu den Zwergen begeben, zerstob wie trockenes Laub im Herbstwind. Ein wenig schämte er sich auch für die Vorurteile seiner Töchter. Der Bote und seine Helfer waren durchaus nicht ekelerregend. Im Gegenteil! Der König konnte sich gar nicht satt sehen an Prinz Hanno. Immer wieder ertappte sich Rainer in
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