Der Mitternachtsdetektiv: Unter Wölfen (German Edition)
Klient.«
Gott, der Name sorgte für ein Flashback nach dem anderen: die ersten Wochen im Job. Ich, kurz davor, das Handtuch zu schmeißen. Dann das vorsichtige Klopfen an der Tür. Der unscheinbare, alte Mann mit dem po l nischen Akzent und den ungewöhnlich langen Finge r nägeln. Die unglaubliche Geschichte, die er mir au f tischte.
Scheinbar hatte er nicht gelogen, als er versprochen hatte, mich seinen Freunden weiterzuempfehlen. Guter alter Ladislaus. Der netteste Dreihundertvierzigjährige, den man sich vo r stellen kann.
Lucretia Herzog faltete die perfekt manikürten Hä n de. Ihre Nägel waren so rot wie ihre Lippen. »Er sagte, Sie wussten damals nicht ...«
Ich lächelte matt. »Was er ist? Was sich wirklich nächtens auf unseren Straßen abspielt? Nein, wusst’ ich nicht. Ehrlich nicht.«
Sie hob eine Augenbraue. »Sie haben doch keine Angst vor uns?«
Ich wollte gerade antworten, als meine Schokolade kam. Ich entpackte den mitgelieferten Mürbekeks und tunkte ihn in das Getränk. »Inzwischen weiß ich, dass die meisten von Ihnen auch nur über die Runden kommen wollen, genau wie unsereiner. Aber ich hab’ anfangs ganz schön dran gekaut, glauben Sie mir.«
Ich sagte ihr nichts von den schlaflosen Nächten und der Paranoia. Dem Weltbild, das in Fetzen zerrissen wurde. Aber sie schien auch so zu verstehen.
»Trotzdem haben Sie vielen aus den Nachtvölkern geholfen. Schnell, zuverlässig und diskret.«
Ich zuckte mit den Achseln. »Gehört zum Service, für jeden Klienten. Aber kommen wir zum Geschäft. Was kann ich für Sie tun?«
Ihre Miene war kühl, als sie sagte: »Mein Partner wurde ermordet, Herr Hellmann. Und ich will, dass Sie den Mörder finden.«
Keine Ahnung wie, aber irgendwie schaffte ich es, mich nicht an der Schokolade zu verschlucken. Verl o rene Verwandte wiederfinden, entwendete Talismane zurückbeschaffen – kein Problem. Aber Mord? Der ei n zige Mordfall, in dem ich bislang ermittelt hatte, lang Jahrhu n derte zurück.
Ich gebe zu, eine Sekunde lang fragte ich mich, ob die Sache nicht eine Nummer zu groß für mich sein könnte, zumal ich vermutete, dass sich meine Ermittlungen nicht auf die örtliche Pfadfindergruppe beschränken würden.
Aber der Gedanke an meinen Kontostand brachte meine Entschlossenheit ganz schnell zurück. Und hey – ich behielt sogar mein Poke r face.
»Verstehe«, sagte ich ernst. »Ihr Partner? Meinen Sie damit ...?«
Ihre Stimme war tonlos, bis in die kleinste Schwi n gung kontrolliert. »Meinen Gefährten. Meinen Eh e mann, wenn Sie so wollen. Seine Name ist ... war ... V a dim Zagan.« Sie blickte zum Fenster auf der anderen Seite der Kneipe, hinter dem Schneeflocken durch die Lichtkegel der Straßenlaternen tanzen. »Können Sie sich vorstellen, wie es ist, mit jemandem dreihunder t achtundzwanzig Jahre zu verbringen, Nacht für Nacht – und ihn dann für immer zu verli e ren?«
Ich konnte mir nicht mal eine normale Ehe vorstellen. Aber das sagte ich ihr nicht.
»Wir hatten unsere ... Differenzen«, sagte sie und schloss die Augen. »Aber ich habe ihn sehr geliebt.« Auf einmal klang sie sehr menschlich. Ich wusste, wie es war, jemanden zu verlieren und ich glaube, sie sah mein ehrliches Beileid in meinem Blick. Sie atmete tief durch und sammelte sich wieder, wurde wieder zur unnahb a ren Schönheit.
Natürlich musste ich in Betracht ziehen, dass sie selbst ihn umgebracht haben könnte. Aber das ergab wenig Sinn: Warum sollte sie dann einen Priva t schnüffler beauftragen?
»Woher wissen Sie, dass es Mord war?«, fragte ich.
»Ich fand seine Leiche kurz vor Morgengrauen auf dem Grundstück unserer Villa.«
Ich rieb mir die Unterlippe. »Mit einem Pflock durch’s Herz?«
»Nein«, sagte sie, so bitter wie Asche. »Zerstückelt und in alle Himmelsrichtungen ve r teilt.«
Mir wurde erst kalt – und dann noch kälter. Lauf , sagte ein Teil von mir, lauf so schnell zu kannst, Hel l mann, diese Leute sind gefährlich!
Klappe zu , befahl ich dem betreffenden Teil. »Ich dachte immer, Wunden heilen bei Ihrer Art im Zeitra f fer?«
»Nicht solche Wunden«, sagte Lucretia Herzog. Ich sah ihre Wangenmuskeln arbeiten.
Ich zog mein Moleskin-Notizbuch und ließ den K u gelschreiber klicken. »Wie lange ist das jetzt her?«
Sie musste nicht überlegen. »Es geschah in der Nacht des zwanzigsten November. Vor genau neunundzwa n zig Tagen.«
»Warum haben Sie solange gezögert, bis ...?«
Sie antwortete nicht.
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