Der Mitternachtsdetektiv: Unter Wölfen (German Edition)
präsentierte mir ein verteufelt spitzes Messer, so glatt poliert, dass ich mein Spiegelbild darin sah. (Gott, ich musste mich dringend rasieren.) »Geiler Brieföffner«, sagte ich trocken.
Sie legte den Kopf schräg. »Ein geweihter Dolch, Blödmann. Aus Silber.« Sie öffnete das Plastiktü t chen und ließ das Fell auf die Theke rieseln. Dann fuhr sie einmal mit der Klinge darüber. Die grauen Büschel kräuselten sich wie in einem unspürbarem Feuer. Stinkender Dampf stieg auf. Nur Asche blieb übrig.
Jenny sah mich ernst an. »Wie ich sagte: upps.«
»Das war ...?
»’ne positive Reaktion auf Silber. Definitiv Werwolf. Sorry. Hätt’ dir gern was anderes g e sagt.«
Scheiße , dachte ich und sagte es laut. Einen M o ment lang spielte ich mit dem Gedanken, meine Kl i entin ernst haft zu enttäuschen. Aber nur für einen Moment.
»Okay«, ich atmete tief durch, »was weißt du über die Viecher?«
»Ich hab’ dir doch mal ein Buch gegeben: De Lyka n thropis . Hast du’s etwa nicht gelesen?«
»Na ja, ich musste erst den neuen James Ellroy bee n den und ...«
Sie rieb sich die Stirn. »Oh Mann, Kai. Wann machst du endlich mal deine Hausaufgaben?«
»Ich kann mir das übernatürliche Zeug eben besser merken, wenn ich’s von dir höre.« Ich fasste nach ihrer Hand. Sie verschränkte die A r me. Seufzte.
»Na gut, dieses letzte Mal.« Sie tat ein paar knarrende Schritte zu einem Bücherregal und zog eine fette Schwarte daraus hervor. Während sie das Teil durc h blätterte, sah ich Illustrationen von allerlei jenseitigem Getier. Jenny stoppte auf einer Seite mit der Darstellung eines großen, bösen Wolfs, die mein Herz flattern ließ, allerdings nicht auf die gute Art.
»Also pass auf«, sagte sie. »Zum Lycanthropen oder Werwolf wird man durch den Biss eines solchen. Vo r ausgesetzt, man überlebt. Was die wenigsten tun.«
Ich nickte und machte mir Notizen. »So weit hat Hollywood also recht.«
Jenny blätterte weiter. »Sie sind nachtaktiv und Fleischfresser, ausnahmslos. Nach ihrer Infizierung verwandeln sie sich erst in den Nächten um Vol l mond, aber nur am Anfang. Einige Monate später können sie nach Belieben die Gestalt wechseln. Sie sind Rudeltiere und ordnen sich völlig ihrem Alph a männchen oder -weibchen unter, was entweder der stärkste oder älteste Wolf des Rudels ist.«
Ich rieb mir das stachelige Kinn. »Hmm. ›Die Nächte um Vollmond‹. Das ist heute. Und morgen ist Vollmond, wenn ich mich nicht irre. Gutes Timing.« Unruhig ließ ich den Kugelschreiber zweimal klicken. »Sonst noch was, das ich über die Viecher wissen muss?«
»Ja«, sagte Jenny, den Finger konzentriert auf einer Zeile. »Anscheinend reden sie mit der Stimme von Mickey Maus.«
Meine untertassengroßen Augen brachten sie zum Lachen. »Ha, erwischt!«, sagte sie und drückte meine Nase mit dem Finger. Ich hasste es, wenn sie das machte. (Nein, nicht wirklich.)
»War’s das?«, fragte ich.
Jenny wurde ernster. »Nicht ganz. Auf Silber reagi e ren sie allergisch, kein Schwein weiß warum, und sie sind verdammt schnell und ve r dammt stark.«
Ich hob die Hand, bevor es graphischer wurde. »Okay«, sagte ich entgeistert. »Ich denke, das reicht.«
Sie sah mich an. Anscheinend konnte sie mich sehr gut verstehen. »Wirst du jetzt kneifen?
»Ist leider keine Option. Nicht bei meinem Kont o stand.«
»Sei auf alle Fälle vorsichtig. Hier.« Mit ernster Miene reichte sie mir den Dolch mit dem Griff voran.
Ich betrachtete das Ding zögerlich.
»Behalt ihn«, sagte sie.
»Du kennst meine Einstellung zu Waffen ...«
»Und du kennst meine Einstellung zu der Vorstellung von deinem Namen in der Zeitung, mit ’nem dicken, schwarzen Rahmen darum. Behalt ihn«, beharrte sie. »Dann fühl ich mich wohler. Okay?«
»Okay.« Als ich den Dolch nahm, berührten sich u n sere Hände kurz. Unsere Blicke trafen sich. Da war e t was, ein kleiner, elektrischer Funke. Doch dann war er schon wieder verflogen. Ich steckte das Stichwerkzeug in die Manteltasche und wünschte mir, ich hätte mich dabei ebenfalls wohler gefühlt. »Danke«, sagte ich.
»Gern geschehen. Wo gehst du jetzt hin?«
»Elisa Prätorius aufsuchen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nie gehört. Wer soll das sein?«
»Jemand mit ’nem Motiv, wie’s aussieht. Nur leider pocht die gute Frau auf ihre Privatsphäre. Sie steht w e der im Telefonbuch, noch lässt sie sich googeln. Aber ich kenn’ da w en, der mir weiterhelfen kann.«
»Okay.« Jenny
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