Der Modigliani Skandal
Leben mit ihm zu verbringen. Seit einem Jahr hatte sie ein Verhältnis mit ihm, und sie begann, sich daran zu gewöhnen. Sie mochte seinen Zynismus, seinen Sinn für Humor, seine irgendwie »freibeuterische« Art.
Beide interessierten sie sich bis zur Besessenheit für Kunst; allerdings richtete sich sein Interesse auf das Geld, das mit Hilfe der Kunst zu machen war, während Dee sich gefesselt fühlte vom Warum und Wofür des schöpferischen Prozesses. Beide stimulierten einander, im Bett ebenso wie außerhalb: Sie bildeten ein gutes Team.
Mike stand auf, goß Kaffee nach und steckte für beide Zigaretten an. »Du bist so still«, sagte er in seinem breiten Amerikanisch. »Denkst du an die Prüfungsergebnisse? Die müßten doch langsam fällig sein.«
»Sie sind heute gekommen«, erwiderte sie. »Aber ich habe das Telegramm noch nicht geöffnet.«
»Was? He, nun mach schon, ich will wissen, wie du abgeschnitten hast.«
»Meinetwegen.« Sie holte den Umschlag und setzte sich wieder, bevor sie ihn mit dem Daumen aufriß. Sie entfaltete das Papier, das der Umschlag enthielt, warf einen Blick darauf und sah dann Mike mit strahlendem Lächeln an.
»Mein Gott, ich habe eine Eins gekriegt«, sagte sie.
Aufgeregt sprang er hoch und schrie: »Yippee! Ich hab's gewußt! Du bist ein Genie!« Ausgelassen führte er eine Art Solo-Squaredance auf, wobei er unablässig »Yee-hah« rief und die Klänge einer Stahlgitarre zu imitieren versuchte. Mit einer imaginären Partnerin hüpfte er in der Küche umher.
Dee schüttelte sich vor Gelächter. »Du bist doch der kindischste Fast-Vierziger, der mir je über den Weg gelaufen ist«, sagte sie atemlos. Mike verbeugte sich vor einem imaginären, wild applaudierenden Publikum und nahm wieder Platz.
Er sagte: »So. Was bedeutet dies für deine Zukunft?«
Dee wurde wieder ernst. »Es bedeutet, daß ich meinen Ph. D. machen kann, meinen Doktor.«
»Was, noch mehr akademische Grade? Du hast jetzt deinen Bachelor of Arts in Kunstgeschichte - außer deinem Diplom in Zeichnen, Malen und Bildhauerei. Wär's nicht langsam an der Zeit, daß du aufhörst, so eine Art Berufsstudent zu sein?«
»Weshalb sollte ich? Studieren ist mein Hobby - und wenn man bereit ist, mich für den Rest meines Lebens fürs Studium zu bezahlen, warum sollte ich das nicht tun?«
»Die werden dir nicht viel zahlen.«
»Das stimmt.« Dee sah nachdenklich aus. »Und ich würde gern ein Vermögen machen, irgendwie. Aber ich hab ja noch viel Zeit. Ich bin doch erst fünfundzwanzig.«
Mike streckte seinen Arm über den Tisch und griff nach ihrer Hand. »Wie wär's, wenn du für mich arbeiten würdest? Ich zahle dir ein Vermögen - du wärst es wert.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich möchte nicht auf deinem Rücken reiten. Ich möchte es allein schaffen.«
»Aber vorn reitest du sehr gern auf mir«, sagte er mit einem Grinsen.
Sie lächelte entzückt. »Kannst drauf wetten«, sagte sie, seinen amerikanischen Akzent imitierend. Dann zog sie ihre Hand zurück. »Nein, ich werde meine Dissertation schreiben. Falls sie veröffentlicht wird, könnte ich dadurch sogar etwas Geld verdienen.«
»Wie lautet das Thema?«
»Nun, ich habe mit mehreren geliebäugelt. Das lohnendste scheint mir die Beziehung zwischen Kunst und Drogen zu sein.«
»Trendgemäß.«
»Und originell. Ich glaube, ich könnte zeigen, daß Drogenmißbrauch meist gut für die Kunst und schlecht für den Künstler ist.«
»Ein hübsches Paradox. Wo willst du anfangen?«
»Hier. In Paris. In den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts hat man in der Künstlergemeinde Pot geraucht. Nur nannten die das damals Haschisch.«
Mike nickte. »Würdest du ein wenig Hilfe von mir annehmen, gleich am Anfang?«
Dee griff nach den Zigaretten und nahm eine. »Sicher«, sagte sie.
Quer über den Tisch hielt er ihr sein Feuerzeug hin. »Ich kenne einen alten Mann, mit dem du sprechen solltest. War hier vor dem Ersten Weltkrieg mit einem halben Dutzend der Meister befreundet. Ein paarmal hat er mich auf die Spur von Bildern gebracht. Er war so eine Art Gelegenheitskrimineller, hat aber auch jungen Malern Prostituierte als Modelle verschafft - und noch so manches andere. Ist schon ziemlich alt -muß an die neunzig sein. Aber er erinnert sich.«
In der winzigen Wohnstube roch es übel. Der Fischgeruch vom Laden darunter schien alles zu durchdringen; er fraß sich gleichsam durch die kahlen Fußbodenbretter und ätzte sich ein in das zerstoßene Mobiliar, in die
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