Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
Vermehrung führt dazu, dass sich das Immunsystem des Patienten gegen eigene Körperzellen richtet.»
Enzo starrte ihn an. Das Gesicht des Arztes leuchtete grell im Licht der Schreibtischlampe. «Gibt es eine Therapie?»
Der Arzt lehnte sich übertrieben ruckartig zurück und presste die Lippen zusammen. «Ich fürchte, Ihre Krankheit ist unheilbar, Monsieur Mackay. Natürlich sollten Sie sich unverzüglich einer Chemotherapie unterziehen.»
Doch Enzo wollte nicht mehr hören. «Wie viel Zeit habe ich noch?»
«Mit Behandlung … vielleicht sechs Monate.»
«Und ohne?»
Wie zur Entschuldigung senkte Dr. Dussuet den Kopf. «Drei. Bestenfalls.»
Kapitel vier
Sie war vielleicht fünfundvierzig Jahre alt. Das Haar trug sie hinten kurz geschnitten und auf dem Kopf gelockt. Sie hatte sich blonde Strähnchen machen lassen und sah jünger aus als sie war. Obwohl sie mit Anfang, Mitte zwanzig zwei Kinder zur Welt gebracht hatte, hielt sie ihre Figur. Sie war schlank, attraktiv, geschieden. Die Kinder waren inzwischen erwachsen. Somit fehlte es ihr nie an männlichen Verehrern. Nachmittags arbeitete sie bei der Post in der Rue du Président Wilson, und so war sie, als es vormittags an der Tür klingelte, zu Hause.
Sie bewohnte eins von zwei Apartments in einer umgebauten Vorstadtvilla in der Nähe des Krankenhauses im Südwesten von Cahors. Ihre Nachbarin arbeitete bei einem Immobilienmakler auf dem Boulevard Léon Gambetta, also konnte sie es nicht sein. Im Flur herrschte schummriges Licht, als sie die Tür aufmachte, doch sie sah sofort, dass ihr Besucher eine seltsame weiße Maske über Nase und Mund trug. Ihr blieb kaum Zeit, sich zu wundern, bevor er sie mit eiserner Faust niederschlug. In ihrem Kopf explodierte ein Feuerwerk aus Lichtblitzen und Schmerzen, und sie war bewusstlos, noch bevor sie zu Boden ging. Der Mann mit der Maske trat über sie und zog sie am Fuß hinter sich her, sodass er die Tür von innen zuziehen konnte. Er kniete sich über ihre ausgestreckte Gestalt und betrachtete sie einen Moment. Sie war tatsächlich eine ziemlich hübsche Frau. Was für ein Jammer.
Er legte ihr eine Hand hinter den Kopf, die andere aufs Gesicht und hörte zu seiner Genugtuung das wohlbekannte ploppende Geräusch, als er die Hände mit einem Ruck in entgegengesetzte Richtungen zog. Das Schwierigste am Leben war das Leben. Der Tod war leicht.
Mit Handschuhen tastete er behutsam nach der Knopfleiste ihrer Bluse und riss sie mit einem kräftigen Ruck auseinander, sodass die Knöpfe über den Boden rollten. Ein schwarzer Büstenhalter mit Rüschen am oberen Rand kam zum Vorschein. Der Mann steckte zwei Finger unter den Steg zwischen den dünnen Halbschalen und zog den BH herunter. Sie hatte weiche, runde Brüste mit dunkelrosa Brustwarzen. Doch deshalb war er nicht hier.
Er stand auf und ging vom Flur ins Wohnzimmer hinüber. Er hatte es offenbar mit einer Frau zu tun, die Wert auf Ordnung in ihrem Leben legte. Alles hatte seinen Platz und befand sich offenbar auch dort. Seine Mutter war auch so gewesen: sauber und pedantisch. Folglich bereitete es ihm ein gewisses Vergnügen, hier für ein bisschen Chaos zu sorgen – Schubladen auf dem Boden auszukippen, Vasen zu zerschmettern, eine Vitrine mit Geschirr und Weingläsern umzuwerfen. Im Schlafzimmer riss er Kleider aus dem Schrank und verstreute sie übers Bett. Eine Schublade war bis obenhin gefüllt mit schwarzen Dessous, Strapsen und roten Strumpfbändern. Entweder hatte sie ihren Spaß beim Sex, oder sie machte einfach nur gern Männer scharf. So oder so hatte sie keine Verwendung mehr dafür. Er warf die Sachen mit vollen Händen in den Flur.
In der Küche fegte er alles von den Arbeitsplatten, riss den Kühlschrank auf und warf Fleisch, Käse und halbleere Gläser auf den Boden. Dann entdeckte er die Uhr am Ofen. Eine Uhr mit Drehzählern. Er zerschlug das Glas mit der Handkante und beugte sich hinunter, um daran zu horchen. Der elektrische Mechanismus versuchte, die Ziffern weiterzudrehen, doch die Zähler waren blockiert. Elf neunundzwanzig.
Er kehrte ins Wohnzimmer zurück, wo er ihren Laptop unangetastet auf dem Tisch stehen gelassen hatte. Jetzt öffnete er ihn und fuhr ihn hoch, wartete geduldig, bis der Desktop den Bildschirm füllte. Dann startete er das iCal-Programm und sah zu, wie ihr Terminkalender für den Monat erschien. So schnell es seine Handschuhe erlaubten, tippte er einen neuen Eintrag ein und speicherte ihn. Job erledigt. Fast.
Im Flur
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