Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Monat vor dem Mord

Der Monat vor dem Mord

Titel: Der Monat vor dem Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
Vom Netzwerk:
Er beobachtete, wie Ocker mit einem einzigen Schnitt den Pelz des Tieres vom Hals bis zum Gekröse auftrennte, dann den Pelz nach links und rechts auseinanderklappte und mit den starken Stecknadeln auf das Holz heftete.
    Ocker hatte jetzt ein Tonband laufen und sprach ganz flüssig: »Keine Veränderungen bei Augenschein ...« Er diktierte etwa eine Minute lang, ehe er damit begann, einzelne Organe zu entnehmen. Nach zwei Stunden, nachdem auch die zweite Ratte sehr schnell krepiert war, wussten sie es: Das Gift war nicht nachzuweisen. Das machte auf beide keinen sehr großen Eindruck. Es gab sehr viele Stoffe, die Tiere krepieren ließen, um sich dann in Luft aufzulösen. Sie zogen daraus lediglich eine Konsequenz, die Horstmann so formulierte: »Wenn wir das Zeug konzentriert nach Kanada liefern und jemand setzt nicht genügend Verdünnungsflüssigkeit zu, dann geht alles ein, was im Wald ist.«
    »Wollen wir den Affen versuchen?«, fragte Ocker.
    »Sicher.«
    »Wirst du weiter konzentrieren?« Ocker hatte schon immer etwas dagegen gehabt, einen Affen sterben zu sehen und ihn dann zu sezieren. Er fand Affen niedlich, und Ratten fand er widerlich.
    »Ich glaube, zehn Prozent höher«, sagte Horstmann.
    Sie sahen beide zu, wie der Affe ganz offensichtlich einem Herzschlag erlag. Alles war sehr typisch. Er riss den Mund auf, er riss die Augen auf. Der Schreck in den Augen war unfassbar. Beide Arme kamen hoch an den Mund, als wolle er sich Luft und Kraft und Leben in den Schlund pressen. Dann wurde er weich wie ein Klumpen Gallert und fiel auf das Gesicht.
    Ocker arbeitete jetzt noch schneller als bei den Ratten. Er arbeitete ohne Ergebnis, der Giftstoff war nicht nachweisbar.
    Es war jetzt sechs Uhr nachmittags, sie waren erschöpft. »Ich gehe nach Hause«, sagte Ocker. »Vielleicht trinke ich vorher irgendwo ein Bier.«
    Sie trugen gewissenhaft in das Tagebuch des Laboratoriums ein, womit sie sich beschäftigt hatten. Aber das Ergebnis trugen sie nicht ein. Das wurde niemals eingetragen. Es lag einfach an der Branche: Man hatte einen höllischen Respekt vor Diebstahl und Preisgabe von Betriebsgeheimnissen. Und für die Nervösen und Ängstlichen unter ihnen war schon ein Putzlappen in der Kantine ein gefährliches Objekt.
    »Selbst wenn du gar nichts finden willst, findest du einen Knüller«, sagte Ocker missmutig. Er war nicht mehr voller Hochachtung, er war nur noch neidisch.
    »Was ist ein Knüller daran?«, fragte Horstmann.
    Ocker grinste und sagte: »Du tust manchmal so, als könntest du nicht bis drei zählen. Gut, ich gebe zu, du hast mit diesem Stoff ein Schädlingsbekämpfungsmittel entdeckt. Aberheute Nachmittag hast du daraus etwas anderes gemacht.« Er lachte leise und tat sehr überlegen.
    »Was denn?«
    »Frag’ nicht so unschuldig«, sagte Ocker belustigt. »Du weißt doch ganz genau, dass du mit diesem Zeug einen Menschen umbringen kannst, ohne dass man dir etwas nachweisen kann. Wie wäre es mit dem Chef?«
    Das war typisch Ocker, und Horstmann ärgerte sich immer wieder darüber. Obwohl Ocker ein hervorragender Spezialist war, sprach er zuweilen so unwissenschaftlich, dass man geneigt war, einem Gerücht Glauben zu schenken, nach dem Ocker sich ausschließlich von Romanheften billigster Sorte ernährte. Alle im Forschungsteam, und auch alle in den Teams der Konkurrenz, arbeiteten tagaus, tagein mit sehr scharfen und unbedingt tödlichen Giften. Aber niemand kam auf die Idee zu sagen: »Damit kann man einen Menschen töten.« So etwas widersprach jeder wissenschaftlichen Disziplin, war unsachlich, kindisch sogar. Als Student mochte man so etwas denken, als Erwachsener nicht mehr.
    Für Horstmann war Ocker ein Student, und er würde es wohl immer bleiben. Trotzdem konnte er diese Bemerkung nicht durchgehen lassen. Er sagte: »Du wirst es nie begreifen, Ockerliebling, du bist ein Kind. Warum sollte ich einen Menschen töten?«
    »Was weiß ich?«, fragte Ocker vollkommen harmlos. »Auf jeden Fall musst du mit dem Zeug vorsichtig sein.«
    »Klar«, sagte Horstmann. Er hatte sich ein sehr einfaches Programm zurechtgelegt. Er würde Karin haben, eine wunderbare Frau, eine richtige, hemmungslose, lachende, gierige Geliebte. Die hunderttausend Mark konnte die Familie bekommen. So schien es ihm gerecht. »Tue mir einen Gefallen«,sagte er zu Ocker, »bestell’ dir eine Taxe. Ich habe noch etwas zu tun.«
    »Karin?«, fragte Ocker.
    »Nein«, sagte Horstmann. Warum sollte Ocker das wissen? Was ging es ihn

Weitere Kostenlose Bücher