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Der Monat vor dem Mord

Der Monat vor dem Mord

Titel: Der Monat vor dem Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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überspielte.
    Er kam mit zwei Drahtkäfigen zurück, er fragte: »Was willst du eigentlich unternehmen?«
    »Ich weiß es noch nicht genau«, sagte Horstmann. »Eigentlich will ich nur beobachten, wie Tiere auf den Stoff reagieren.«
    »Also hast du keine neue, umwerfende Idee?«, fragte Ocker. Ganz vage kam Empörung in ihm hoch.
    »Nein«, sagte Horstmann ich habe keine. Muss man immer umwerfende Ideen haben?«
    »Dann möchte ich wissen, wieso wir nicht längst zu Hause sind?«, sagte Ocker angriffslustig. Dies war also nichts als eine Laune! Sicherlich, Horstmann hatte ja auch eine Frau, mit der er nichts anfangen konnte, jedenfalls so gut wie nichts. Aber er, Ocker, hatte eine prima Frau, und es war nicht nötig gewesen, sie so lange warten zu lassen.
    »Reg’ dich nicht auf«, sagte Horstmann, »du bist doch freiwillig mitgegangen.«
    »Du hast einfach keine Lust, zu Hause herumzuhocken zwischen deinen Weibern«, sagte Ocker, und er traf Horstmann damit sehr direkt.
    »Das ist richtig«, sagte Horstmann müde. »Ich weiß nicht recht, was ich dort soll. Das sagte ich schon.«
    »Das ist doch übertrieben!« Ocker wurde scharf. Es war das erste Mal, dass er scharf wurde. »Du vergisst ein bisschen die Proportionen, du großer Chemiker. Bloß, weil du dich einmal auf der feinen Karin ausgetobt hast, darfst du doch deine Familie nicht vergessen. Nun erzähl noch irgendeine Schnulze ...«
    »Ocker«, sagte Horstmann, »Ockerliebling, halt deine Klappe. Das sind meine Geschichten, nicht deine. Verstanden?« Es war sehr schwer für Horstmann, an einer wunden Stelle getroffen zu sein. Und ausgerechnet von Ocker, seinem Hofhund.
    Ocker sah ihn eine Weile an, erstarrte dann, als habe er plötzlich begriffen, dass er zu weit gegangen war, und sagte: »Entschuldige vielmals. Willst du erst die Ratten?«
    »Ja«, sagte Horstmann, »hast du bei dir alles fertig?«
    »Sicher.« Ocker war enttäuscht, dass es ausgerechnet ihm gelungen war, eine schwache Stelle bei Horstmann zu entdecken. Es wurmte ihn, dass Horstmann plötzlich wie ein Kerl aussah, der aus schwachen Stellen bestand, aus sehr vielenschwachen Stellen. Und er fragte sich sofort zutiefst verzweifelt, wieso er diesen Mann jahrelang so falsch eingeschätzt hatte. Horstmann war nichts anderes als ein mieser Egoist mit miesen Familienverhältnissen. Nichts Anderes war er. In diesem Augenblick begann Ocker, seine Hochachtung vor Horstmann zu verlieren.
    Horstmann und Ocker arbeiteten sehr konzentriert zwei Stunden lang. Horstmann besprühte die Ratten mit wechselnden Zusammensetzungen des von ihm gefundenen Giftstoffes, während Ocker die Herztöne und den Puls der Tiere mit elektronischen Maschinen kontrollierte. Bei geringer Dosiserhöhung einer Teilsubstanz verlangsamte sich der Herzschlag rapide, um nach ganz kurzer Zeit wieder normal einzusetzen. Als dies dreimal geschehen war, wussten beide, dass sie sich jetzt an etwas herantasten konnten, was man in ihrem Beruf »tödliche Schwelle« nannte. Man nannte es auch »Katastrophentod«.
    »Ich erhöhe den Anteil dieses Stoffes um fünfzig Prozent«, sagte Horstmann fiebrig. »Mach dich fertig zum Sezieren. Ich denke, du musst zuerst an das Herz heran, aber das ist nur eine Vermutung.«
    Horstmann hob die Dose mit dem Bekämpfungsmittel und dem Treibgas und sah hinunter auf die Ratte, die er in ein hochwandiges gläsernes Becken gesetzt hatte. Sie machte einen sehr munteren Eindruck, und ganz offensichtlich hatte sie die vorigen Versuche vergessen, obwohl sie unangenehm gewesen sein mussten.
    Er sprühte den Stoff recht konzentriert gegen den Kopf des Tieres und musste einen Augenblick lang erschreckt nach Luft japsen, weil er selbst etwas mitbekommen hatte. »Wir brauchen Masken«, brüllte er zu Ocker hinüber. »Das Zeug scheint in dieser Zusammensetzung gefährlich zu sein.«
    »Gut!«, rief Ocker. »Ich besorge sie.«
    Horstmann hörte, wie er in einem Schrank herumwühlte. Dabei beobachtete er die Ratte. Sie machte plötzlich, etwa nach zwanzig Sekunden, einen Katzenbuckel, lefzte die Zähne, als sei sie ein bissiger Hund, fiel dann zusammen wie ein Watteknäuel, auf das man Wasser gießt, und lag ganz still.
    Horstmann spürte Ocker hinter sich. Er griff mit der Hand nach hinten und setzte sich die Maske auf. Mit der Maske konnte er wesentlich besser atmen. »Exitus«, sagte er. Es klang hohl in der Maske. »Mach schnell!«
    Ocker nahm die Ratte und lief hinüber in sein Labor. Horstmann ging hinter ihm her.

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