Der Mond im See
dablieb. Ich hatte ein wenig Angst vor der Wirtin. Aber die schien nichts zu sehen und zu hören, kein Mensch beschränkte mein Wirken in diesen Münchner Frühlingstagen.
Alle meine weiteren Reisepläne gerieten in Vergessenheit. Natürlich war ich bei meiner Firma gewesen, dort wurde ich sehr freundlich empfangen, ich frühstückte mit meinem Chef, er ließ sich berichten, und – was mein Gemüt sehr fröhlich stimmte – ich erfuhr, daß Bibiana geheiratet hatte und gerade vor einem Monat einem gesunden Jungen das Leben geschenkt hatte. Ich schickte ihr einen Brief und einen großen Blumenstrauß, bekam einen Anruf von ihr und die Einladung, sie gelegentlich zu besuchen.
Ach ja, und einen Wagen kaufte ich mir auch, einen flotten kleinen Flitzer, mit dem ich Erika nach Starnberg und nach Garmisch kutschierte. Alles bestens. Erstklassig geradezu.
Tante Hille hatte ich wieder mal ganz vergessen.
Ich dachte erst wieder an sie, als Erika meinte, ich müsse sie nun aber unbedingt einmal besuchen und ihre Mama kennenlernen. Die fände es natürlich komisch, daß sie so oft des Nachts nicht nach Hause käme, und fände es daher an der Zeit, daß ich mich einmal präsentiere.
Hm. Na ja. Der gute alte Thaler fiel mir ein, und was er gesagt hatte. Und auch, was seine Frau gesagt hatte. Gar so eilig hatte ich es wieder nicht. Denn mit Erika, das war natürlich süß und nett und ganz bezaubernd, aber mehr auch nicht. Ich müßte unbedingt und ganz dringend jetzt mal in die Schweiz, sagte ich, da sei ich zu Hause, und da sei auch meine Familie, und die warteten schon so lange auf mich. Aber ich bliebe nicht lange, und in spätestens vier Wochen sei ich wieder da. Und dann müsse man mal darüber nachdenken, wohin man in Urlaub fahren könnte.
»Du bist Schweizer?« fragte Erika erstaunt.
»Halb. Meine Mutter war Schweizerin, mein Vater Deutscher. Aber ich bin in der Schweiz aufgewachsen.«
»Das ist schick«, fand sie wieder mal.
Darüber konnte man geteilter Meinung sein. Vieles konnte man dem Leben in der Schweiz nachsagen, viel Gutes, aber nicht gerade, daß es schick sei.
»Und du kommst wieder?«
»Bestimmt«, sagte ich und schämte mich ein bißchen, weil es gar nicht so bestimmt war, ob ich wiederkommen würde.
»Und dann verreisen wir?«
»Klar. Vorausgesetzt, dein väterlicher Freund erlaubt es.«
»Ach der«, machte sie wegwerfend.
»So sollst du auch nicht sein«, ermahnte ich sie. »Er meint es schließlich gut mit dir.«
»Der ist sauer, weil ich so wenig Zeit für ihn habe.«
»Dann ist es ja ganz gut, wenn du jetzt wieder etwas mehr Zeit für ihn hast. Man sollte gute Freunde nicht vor den Kopf stoßen.« Sie sah mich groß an und verstand wohl.
»So ist es eben«, sagte sie traurig.
Ja, so war es eben. Wie gesagt, ich schämte mich. Und vielleicht würde ich ja auch wiederkommen. Vielleicht aber auch nicht. Das kam ganz darauf an … Worauf kam es an? Auf Annabelle etwa? Ich hatte sie damals nicht bekommen. Ich würde sie jetzt nicht bekommen. Sie war verheiratet, hatte sicher schon Kinder. Na und überhaupt.
Aber Annabelle oder nicht Annabelle, eins wußte ich eigentlich ziemlich genau: Erika war nicht das, was ich mir erträumt hatte. Süß, jung und blond und liebevoll, gewiß, das alles. Und trotzdem – wenn man sich das nur immer vorher richtig klarmachen würde.
»In ein paar Wochen sehen wir uns wieder«, sagte ich heiter. »Überleg dir einmal inzwischen, was wir dann unternehmen.«
Und dann fuhr ich also nach Hause.
Nach Hause! Wie das klang. Aber ich hatte ein Zuhause, wenn ich es auch im Verlauf der vergangenen Jahre oft vergessen hatte. Damals, als ich fortging von Tante Hille und dem Gutzwiller-Haus, ging ich gern und wünschte mir, nie wiederzukommen. Neunzehn Jahre war ich alt. Und hatte schon ein zerstörtes Leben. Ein gebrochenes Herz. Ja, das war es, und ich glaubte, ich würde nie darüber hinwegkommen, von Annabelle getrennt zu sein. Ihr Vater hatte mir unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß seine schöne Tochter nicht für mich gewachsen sei. Es stand schon fest, welchen Mann Annabelle heiraten würde, in zwei oder drei Jahren. Den hatte der Graf de Latour sorgfältig ausgesucht. Nicht daß es unbedingt ein Adliger sein mußte, schließlich war die Schweiz ein demokratisches Land, und obwohl Roger de Latour zweifellos so etwas wie Standesdünkel besaß – außer seinem guten Aussehen so ziemlich das einzige, was ihm seine vornehmen französischen Ahnen
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