Der Mond im See
Schweizerin, immer bedacht darauf, Besitz zu vermehren. Und das sinnlose Leben Roger de Latours gefiel ihr ganz und gar nicht, genausowenig, wie es meinem Großvater gefallen hatte.
Man bekam Roger kaum zu Gesicht, er lebte in Paris, an der Riviera, in Rom, und erst der Krieg brachte ihn in die Heimat zurück. Er heiratete ein zweitesmal, eine resolute Hotelierstochter aus Zürich, die zu retten versuchte, was nicht mehr zu retten war. Geld war nicht vorhanden. Aber wenigstens verhinderte sie, daß der kostbare Besitz von Möbeln und Bildern veräußert wurde, sie ließ den Schloßpark wieder pflegen, einen Gärtnereibetrieb anlegen, Obstbäume pflanzen, züchtete Geflügel und fuhr selbst mit dem Boot auf den See, um zu fischen.
Tante Hille mochte die neue Gräfin Latour. Die Madame vom Schloß, wie sie sie immer nannte. Das war eine Frau nach ihrem Geschmack. Auch Tante Hille pflegte und hegte ihren großen Garten, zog das prächtigste Gemüse und die herrlichsten Blumen, und unsere Hühner legten die größten Eier in ganz Wilberg, daran war nicht zu zweifeln.
Tante Hille und die Madame vom Schloß tauschten gern und ausführlich ihre Erfahrungen in all diesen praktischen Dingen aus. Ich spielte derweil mit Annabelle, der Tochter aus des Grafen erster Ehe.
Als sie fünfzehn war und ich siebzehn, bemerkte ich zum erstenmal ein Stirnrunzeln bei Roger de Latour, als er uns, auf dem Pferd sitzend, vom Ufer aus zusah, wie wir im See herumalberten. Da war der Krieg schon vorbei, es muß so etwa im Jahre 52 gewesen sein, der Graf wieder viel auf Reisen, aber nicht mehr so ausschließlich wie früher. Von da an bemühte er sich, Annabelle von mir zu trennen.
Als sie siebzehn war und ich neunzehn, wußten wir dennoch, daß wir einander tief und heiß liebten, ewig und für alle Zeiten.
Was für eine Liebe! Ich lief herum wie betrunken. Ich rannte nachts im Wald umher und stammelte ihren Namen vor mich hin, küßte die Luft um mich her, unterhielt mich mit dem Mond. Ich schwamm über den ganzen See und hoffte zu ertrinken, denn ich wußte natürlich, daß der Graf nie seine Einwilligung geben würde zu einer Heirat. Ich ließ sie schwören, daß sie ihrem Vater trotzen und auf mich warten würde. Sie lächelte süß, ihre Augen waren blau wie der Sommerhimmel, wie die Kornblumen auf den Feldern, und ich wollte so gern ewige Treue in ihnen finden.
Ich glaubte damals schon nicht recht daran, obwohl sie bereitwillig schwur, was ich hören wollte. Aber sie heiratete mit neunzehn Jahren, als ich gerade im vierten Semester an der TH in München studierte. Den sehr, sehr reichen Mann, den ihr Vater für sie ausgesucht hatte. Ein Fabrikant aus Winterthur, ein recht netter Mann, wie Tante Hille mir ungerührt nach München berichtete, Anfang Vierzig, mit einem großen Automobil und in recht guten Verhältnissen lebend. So drückte es Tante Hille sanft untertreibend aus.
Der also bekam Annabelle. Ihre Jugend, ihre Schönheit, die blauen Augen und die süßen, zärtlichen Lippen, die ich so gern geküßt hatte. Er bekam all das, was ich nicht bekommen hatte. Und Annabelles Vater, der Teufel möge ihn holen, bekam seinen Anteil am Vermögen des Schwiegersohns.
Darauf kehrte ich nicht mehr nach Hause zurück. Nur einmal noch, zu einem ganz kurzen Besuch, ehe ich nach Beendigung meines Studiums auf ein halbes Jahr nach England ging. Tante Hille zuliebe. Dem Gretli zuliebe. Aber sonst hatte ich an diesem Ort nichts mehr verloren.
Na ja, die Zeit vergeht. Gar so schlimm, wie ich anfangs gedacht hatte, war es auch nicht mit meinem Liebesschmerz. Es gab andere Mädchen, es gab – ich erzählte schon davon – vor allem Bibiana, die in allem und jedem das genaue Gegenteil von Annabelle war. Es gab die Fremde, die weite Welt, meine Arbeit und die Lust am Leben.
Aber ich hatte Annabelle nicht vergessen.
Ich litt nicht mehr. Es würde mir möglich sein – heute –, ihr lächelnd gegenüberzutreten, wenn sie mit ihrem Mann und ihren Kindern käme, zu sagen: »Wie geht's? Erzähl mir von dir.«
Immerhin war es möglich, wenn ich jetzt nach Hause fuhr, daß sie einmal zu einem Besuch übers Wochenende auftauchen würde. So einer Begegnung fühlte ich mich ganz und gar gewachsen.
Ach ja, und daß ich es nicht vergaß. Ihr Vater, Roger de Latour, lebte nicht mehr, er war vor zwei Jahren gestorben, das hatte Tante Hille in einem Brief geschrieben. Ich hatte ihm keine Träne nachgeweint.
Wäre vielleicht noch ganz kurz von mir zu
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