Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
verschlossen war, benutzte er seine schwere Axt, wie er es gelernt hatte, um dieses Hindernis rasch beiseitezuschaffen. Das Anwesen lag ruhig und verlassen da. Obwohl eigentlich kein Lebender bei dem Lärm, den Konstantin an der Tür verursacht hatte, schlafen konnte, nahm er sich zusammen und untersuchte alles gründlich. Hier ist keine Menschenseele, konnte er am Ende nur für sich selbst konstatieren.
Was nun? Nach Hause und schauen, ob sie wieder dort ist? Oder erst zur Suchergilde und eine Anzeige machen?
Konstantin entschied sich für Ersteres. Vaíl war seine langjährige Gefährtin. Sie hatten so viel geteilt, dass es ihm, trotz des unfassbaren Verrates und der Verbrechen, die sie anscheinend begangen hatte, unmöglich war, diese Sache anders als in einer persönlichen Konfrontation zu klären. Verdammt! Ich habe ihre verräterischen Notizen offen auf dem Tisch in der Laube liegengelassen. Wenn sie heimgekommen ist und ich nicht dort bin, wird sie schon Verdacht schöpfen, dass sie aufgeflogen ist. Bemerkt sie zusätzlich, dass ich ihre Notizen aufgehoben habe, hat sie Gewissheit!
Die Hoftüre stand einen Spalt offen. Konstantin war sich nicht sicher, ob er sie geschlossen hatte. Alles war totenstill und kein Licht brannte. Wenn sie da ist, lauert sie entweder hinter der Türe oder sie hat doch nicht kapiert, dass sie entlarvt ist und sitzt hinten beim Teich und futtert seelenruhig. Wieso Vaíl? Wieso hast du all das getan? Was ist es, das dich zur Verräterin gemacht hat? Was findest du nur an diesem verfluchten Lianta Xintall, dass du für diese abscheulichen Adeligen so bereitwillig alles aufs Spiel setzt?
Vorsichtig und lautlos stieß Konstantin die gut geölte Gartenpforte weiter auf und, darauf gefasst, plötzlich angegriffen zu werden, betrat er das Grundstück. Niemand stand hinter der Türe, niemand verbarg sich im undurchdringlichen Pflanzengewirr zu seiner Linken. Im schwachen Sternenlicht konnte er erkennen, dass der Notizzettel noch ganz genau dort lag, wo er ihn zurückgelassen hatte. Konstantin schlich ein paar Schritte darauf zu. Wenn Vaíl hier irgendwo ist, dann im hinteren Teil des Anwesens. Verflixt, warum muss ich ausgerechnet jetzt pinkeln. Konzentrier dich Kommissar Konstantin!
Er besann sich darauf, das Gelände hinter sich zu sichern, indem er die Eingangstür wieder verriegelte. Dann ging er an der Laube vorbei, um den Rest des Grundstücks zu untersuchen. Dabei behielt er vor allem das Pflanzengewirr zu seiner Rechten im Auge.
„Du hättest auch auf der Laube nachsehen sollen, mein Liebster“, vernahm er da Vaíls bitter klingende Stimme im Ohr. Kalter Stahl presste sich an seine nackte Kehle.
„Bin ich das wirklich? Dein Liebster? Wirst du mich jetzt doch noch töten?“, fragte Konstantin und konnte sich dabei nicht mehr beherrschen. Er begann, zu weinen und zu schluchzen.
„Du weißt, dass du mir mehr Wert bist als jeder andere Mensch, Canadalith. Dir dürfte auch inzwischen klar sein, dass ich in den letzten Jahren mehrere Menschen töten musste, die mir wirklich etwas bedeutet haben. Auch dir jetzt einfach die Kehle durchzuschneiden, wäre das Gebot der Stunde. Nur weil ich das nicht kann, werde bitte nicht unvorsichtig. Dieser Dolch ist vergiftet. Ritze ich damit deine Haut, gibt es keine Rettung.“ Konstantin erkannte an ihrer Stimmlage, dass auch Vaíl bei diesen kalten Worten die Tränen gekommen sein mussten.
„Vaíl. Was soll das Ganze? Worin hast du dich da verwickelt? Wie und wozu konntest du solche Verbrechen begehen? Warum bist du dir so sicher, dass ich mir jetzt nicht wünsche, dass du ein wenig mit dem Dolch ausrutschst? Nimm das Ding weg oder stich zu. Aber mach ein Ende mit diesem Wahnsinn!“
„Vielleicht kannst du irgendwann verstehen, warum ich meine Heimat um jeden Preis schützen muss. Vielleicht kannst du mir irgendwann auch verzeihen. Hier und jetzt darf ich dir leider noch gar nichts verraten. Du wirst von mir gleich ein starkes Schlafmittel bekommen. Dann halte ich dich an einem sicheren Ort gefangen, bis du keine Gefahr mehr darstellst. Das wird nicht so lange dauern, wie du vielleicht denkst. Danach schenke ich dir die Freiheit, dich für oder gegen mich zu entscheiden. Vielleicht gebe ich dir sogar diesen Dolch in die Hand und lege mein Leben in deine Hände. Ich weiß auch nicht so recht, ob ich ein Leben haben will, in dem du dich von mir abgewendet hast. Aber meine Aufgabe hier werde ich erst noch erledigen. Jetzt geh langsam
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