Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist
ich recht einsam und fühle mich nicht völlig zu Hause hier ), so zeigte er es nicht. Genau genommen zeigte sein Gesicht überhaupt keine Gefühlsregung, weder Kummer noch Ärger, weder Reue noch Resignation; er hätte ebenso gut mit einer alltäglichen Routinearbeit wie mit der Vernichtung der einzigen verbliebenen Zeugnisse der Existenz seines Vaters beschäftigt sein können.
»Was hast du da, Will Henry?«, erkundigte er sich, ohne den Blick von dem läuternden Scheiterhaufen abzuwenden.
Ich blickte nach unten auf die beiden Hüte, die nebeneinander auf meinem Schoß lagen. Ich hob den Kopf und musterte sein Gesicht, das von meinem abgekehrt war, das zum Feuer gekehrt war. Auf seinem kantigen Profil führte Schatten Krieg mit Licht, war das Dunkle sichtbar, das Verborgene enthüllt. Sein Vater hatte ihm den Namen Pellinore zu Ehren des sagenhaften Königs gegeben, der einem Tier nachjagte, das nicht gefangen werden konnte, ein Akt gedankenloser Grausamkeit vielleicht; zumindest ein schicksalhaftes Omen, das Weiterreichen einer Erbkrankheit, des Familienfluchs.
»Meinen Hut, Sir«, antwortete ich.
»Welchen, Will Henry? Das ist die Frage.«
Das Feuer prasselte und knisterte, schnappte und knurrte. Das ist es , dachte ich. Ein Feuer zerstört, aber es reinigt auch.
Ich warf meinen alten Hut in die Mitte der Flammen. Warthrop nickte bloß kaum merklich, und schweigend sahen wir zu, wie das Feuer ihn verzehrte.
»Wer weiß, Will Henry«, sagte er, nachdem er sich, wie die Überbleibsel des Lebens seines Vaters, in Asche verwandelt hatte. »Vielleicht erweist sich diese Last, die du trägst, eines Tages als Segen.«
»Als Segen, Sir?«
»Mein Kollege gab dem Arawakus den Spitznamen ›Ansteckender Jungbrunnen‹.«
»Heißt das, dass ich niemals erwachsen werde?«
Er nahm meinen neuen Hut, sein erstes Geschenk an mich, aus meinem Schoß und setzte ihn mir auf den Kopf. »Oder dass du ewig leben wirst – um meine Arbeit fortzuführen. So viel zum Thema Last zu Segen verwandeln!«
Der Monstrumologe lachte.
EPILOG
Mai 2008
Einhundertzwanzig Jahre nach dem Abschluss der »Anthropophagen-Affäre« rief ich den Direktor der Einrichtung an, um ihm mitzuteilen, dass ich die ersten drei Bände von William Henrys bemerkenswertem Tagebuch zu Ende gelesen hatte.
»Und?«, fragte er.
»Und es ist definitiv frei erfunden.«
»Nun, natürlich ist es das!« Er klang verärgert. »Etwas, was uns helfen könnte, ihn zu identifizieren, haben Sie nicht gefunden?«
»Nichts Greifbares.«
»Seine Heimatstadt?«
»Er nennt sie New Jerusalem, aber eine solche Stadt gibt es nicht, zumindest nicht in Neuengland.«
»Er hat den Namen geändert. Er muss von irgendwoher sein.«
»Na ja«, sagte ich, »er erwähnt zwei Städte, Dedham und Swampscott. Das sind tatsächliche Orte in Massachusetts.«
»Was ist mit Familie? Brüder, Schwestern, Cousins … irgendjemand?«
»Ich habe erst die ersten drei Notizbücher gelesen«, antwortete ich. »Aber er deutet an, dass seine Eltern seine einzigen Verwandten waren.« Ich räusperte mich. »Ich nehme an, die Polizei hat seine Fingerabdrücke überprüft, als sie ihn fand?«
»Ja, natürlich. Keine Übereinstimmungen.«
»Man hat ihn einer vollständigen ärztlichen Untersuchung unterzogen, als er eingeliefert wurde, richtig?«
»Das ist Standard, ja.«
»Haben Sie – führen Sie normalerweise irgendwelche Bluttests durch?«
»Was meinen Sie, so wie DNA?«
»Na ja, das auch, aber als Teil der Untersuchung, machen Ihre Leute da eine komplette pathologische Aufarbeitung vom Blut einer Person?«
»Natürlich. Weshalb fragen Sie?«
»Und da war nichts … Ungewöhnliches an der Probe?«
»Ich müsste die Akte herausholen, aber ich würde mich daran erinnern, wenn der Arzt mir so etwas gesagt hätte. Worauf wollen Sie hinaus?«
»Wie sieht’s mit einer Autopsie aus? Gehört die zum Standardverfahren?«
»Nur, wenn Verdacht auf ein Verbrechen besteht oder die Familie es verlangt.«
»Was beides nicht auf Will Henry zutrifft«, sagte ich. »Was war die Todesursache?«
»Herzversagen.«
»Er war aber nicht krank, bevor er starb, richtig? Kein Fieber oder vielleicht ein Hautausschlag?«
»Er starb friedlich im Schlaf. Wieso?«
»Er gibt so eine Art Erklärung für sein Alter ab. Er muss sie wohl erfunden haben, wie alles andere auch.«
Er stimmte mir zu. »Nun, danke, dass Sie sie sich angesehen haben.«
»Ich habe noch nicht alle gelesen«, sagte ich. »Und das
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