Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist
möchte ich gern, wenn das in Ordnung ist. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich sie noch ein bisschen länger behalte? Vielleicht stoße ich ja auf etwas, das Ihnen weiterhilft.«
Er sagte, er habe nichts dagegen; niemand hatte sich auf die Anzeige hin gemeldet, und all seine Erkundigungen, ebenso wie meine, hatten nichts ergeben. Ich versprach, ihn wieder anzurufen, falls ich etwas Brauchbares entdecken sollte. Erleichtert legte ich auf: Ich hatte befürchtet, er könnte die Rückgabe von Will Henrys Tagebuch verlangen, bevor ich die restlichen Bände gelesen hatte.
Während der nächsten paar Monate trieb ich mich, wann immer ich Zeit dafür erübrigen konnte, im Internet herum und suchte nach jeder bruchstückhaften Information, die die Glaubwürdigkeit des Tagebuchs stützen könnte. Natürlich fand ich zahlreiche Hinweise auf die Fabelwesen, die in der vorhergehenden Abschrift beschrieben sind, von Herodot bis Shakespeare, aber nichts über ein Eindringen in Amerika im späten neunzehnten Jahrhundert. Nichts über eine Monstrumologengesellschaft (oder »Monstrumologie«, nebenbei bemerkt – offenbar war das Teil eines von Will Henry erfundenen Wortschatzes) und nichts, was darauf hindeutete, dass eine Person namens Pellinore Warthrop jemals existiert hatte. Ich fand online einen Verweis auf ein Sanatorium in Dedham um die Jahrhundertwende, allerdings hieß es nicht Motley Hill und sein Betreiber nicht Starr. Keinen Hinweis fand ich auf ein Frachtschiff namens Feronia , das 1865 in der Nähe von Swampscott auf Grund gelaufen war. Es gab keine Berichte über irgendein Schiff, das in diesem Jahr dort verunglückt war.
Ich überprüfte sorgfältig mehrere Quellen über die allzu reale Person von Jack the Ripper, fand aber keine Erwähnung des Decknamens John Kearns oder irgendeine Theorie, die Will Henrys verblüffende Behauptung untermauert hätte, dass er, wenn er nicht gerade Menschen gejagt hatte, Jagd auf Monster gemacht hatte. Ein ausgesprochen freundlicher Angestellter des Britischen Museums erwiderte schließlich meine Anrufe bezüglich der persönlichen Dokumente des Sir Francis Galton, dem Vater der Eugenik, von dem Warthrop behauptet hatte, er sei ein enger Freund seines Vaters gewesen. Wie ich vermutet hatte, enthielt keiner von Galtons Briefen eine Erwähnung eines Alistair Warthrop oder irgendjemandes, der diesem auch nur entfernt geähnelt hätte.
Ich konnte auch nichts über Biminus arawakus finden. Es gibt keinen Mythos – und selbstverständlich nichts in der wissenschaftlichen Literatur – über einen parasitären Organismus, der irgendwie die natürliche Lebensspanne seines Wirtes verlängert.
Manchmal, wenn ich in diese letzten Endes fruchtlosen Nachforschungen vertieft war, lachte ich über mich selbst. Wieso vergeudete ich meine Zeit damit, irgendein Körnchen Wahrheit in etwas zu finden, das so offensichtlich die Frucht der Einbildung eines Wahnsinnigen war? Ich hatte Mitleid mit ihm; vielleicht ist es zum Teil das. Ich denke nicht, Will Henry hätte es ein Werk der Fantasie genannt. Ich denke, er hat tatsächlich geglaubt , dass alles wahr war. Es war Erfindung, kein Zweifel, aber keine absichtliche Erfindung.
Fast vier Monate nach unserer Unterhaltung rief ich den Direktor noch einmal an und fragte ihn, wo William James Henry beerdigt war. Es stellte sich heraus, dass der städtische Friedhof keine zehn Minuten von meinem Haus entfernt war. Ich fand dort eine kleine Steintafel, in die nur sein Name eingemeißelt war, falls es sein Name war, bloß ein weiteres Armengrab unter den zahllosen Parzellen der Bedürftigen. Ich fragte mich, wie das Verfahren für den Antrag auf Exhumierung der sterblichen Überreste aussah. Wie ich so am Fuß seines Grabes stand, fiel mir auf, wie absurd der Gedanke war – wieso um alles in der Welt sollte ich mir wünschen, dass auch nur irgendetwas an seiner sonderbaren Geschichte wahr war?
Aus einer Laune heraus hockte ich mich hin, scharrte mit einem Stock in der Erde und grub vier oder fünf Zoll tief in den sandigen Mutterboden. Ein Gewitter hatte vor Kurzem den Boden durchtränkt, und sofort begann Wasser in mein kleines Loch zu sickern.
Ich sah es nach ein oder zwei Minuten, ein winziges, wurmähnliches Lebewesen, kein fetter Regenwurm oder eine dickliche Made, sondern etwas Langes und sehr Dünnes, das sich auf dem dunklen Wasser wand. Keiner dicker als ein menschlichesHaar , hatte Will Henry gesagt, als er die Kreaturen beschrieb, die
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