Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes
tief Luft. »Die habe ich.«
»Und die ganze Zeit über hatte ich mir die Hoffnung gestattet, du möchtest als Student der anomalen Biologie in meine Fußstapfen treten!«
»Warum sollte ich nicht beides sein können?«, fragte ich. »Doyle ist Arzt!«
» War« , korrigierte er mich. »Und kein besonders erfolgreicher obendrein.« Er hatte die Zeitschrift hingelegt. Endlich hatte ich seine volle Aufmerksamkeit. »Ich will zugeben, dass die Vorstellung mich neugierig macht, und ich hätte keine Einwände, wenn du dich daran versuchtest, aber ich behalte mir das Recht vor, alles zu überprüfen, was du zu Papier bringst. Neben meinem eigenen Ruf habe ich auch das Vermächtnis meines Berufsstands zu schützen.«
»Selbstverständlich«, sagte ich eifrig. »Es würde mir im Traum nicht einfallen, etwas zu veröffentlichen, ohne mich zuerst Ihrer Zustimmung zu versichern.«
»Aber nichts über unsere Schwierigkeiten in den Adirondacks!«
»Eigentlich schwebte mir dieser Fall von vor ein paar Jahren vor – der Zwischenfall in Sokotra.«
Seine Miene verfinsterte sich. Seine Augen brannten. Er richtete einen Finger auf mein Gesicht und sagte: »Auf gar keinen Fall! Hast du mich verstanden? Unter keinen Umständen wirst du jemals etwas Derartiges tun! Was für eine Frechheit, Will Henry, so etwas auch nur vorzuschlagen!«
»Aber wieso, Dr. Warthrop?«, fragte ich, bestürzt ob der Heftigkeit seiner Reaktion.
»Du kennst die Antwort auf diese Frage ganz genau! Oh, ich hätte es mir denken können! Ich hätte es wissen müssen!« Er erhob sich aus seinem Sessel, und die Gewalt seiner Leidenschaft ließ ihn beben. »Jetzt sehe ich ihn, den wahren Born deiner Ambitionen, Mr Henry! Du würdest nicht verewigen, sondern erniedrigen und in Schande bringen!«
»Dr. Warthrop, ich würde nichts Derartiges …«
»Dann frage ich dich, weshalb du von allen Fällen, die wir untersucht haben, denjenigen ausgesucht hast, der mich im schlechtestmöglichen Licht dastehen lässt? Ha! Siehst du, ich habe dich ertappt! Es gibt nur eine vernünftige Antwort auf diese Frage: Rache!«
Ich konnte meine Verwunderung über diese Anschuldigung nicht verbergen. »Rache? Rache wofür?«
»Für die empfundene schlechte Behandlung natürlich!«
»Wieso meinen Sie, ich sei schlecht behandelt worden?«
»Oh, das ist ja ganz schlau von dir, Will Henry – meine Worte zu zergliedern, um deine Perfidität zu verschleiern! Ich habe nicht zugegeben, dich schlecht zu behandeln; ich habe lediglich auf deine Empfindung der Schlechtbehandlung hingewiesen.«
»Na schön«, sagte ich. Es gab nur sehr wenige Diskussionen,die man gegen ihn gewinnen konnte. Genau genommen hatte ich noch nie auch nur eine einzige gewonnen. »Sie suchen den Fall aus!«
»Ich will den Fall nicht aussuchen! Das Ganze war von Anfang an deine Idee! Aber du hast gezeigt, wes Geistes Kind du bist, und so sei versichert, dass ich alles desavouieren werde, was du unter dem Deckmantel des Bewahrens meines Vermächtnisses zu veröffentlichen wagst! Holmes hatte seinen Watson, in der Tat! Und Cäsar hatte seinen Brutus, nicht wahr?«
»Ich würde nie etwas tun, um Sie zu verraten«, sagte ich ruhig. »Ich habe Sokotra vorgeschlagen, weil ich dachte …«
»Nein!«, schrie er und machte einen Schritt auf mich zu. Ich schreckte zurück, als erwartete ich einen Schlag, obwohl er in all unseren gemeinsamen Jahren nie handgreiflich geworden war. »Ich verbiete es! Ich habe zu lange und zu hart daran gearbeitet, die Erinnerung an diesen verfluchten Ort aus meinem Gedächtnis zu verbannen! Du wirst diesen Namen in meiner Gegenwart nie wieder erwähnen, hast du mich verstanden? Nie wieder!«
»Wie Sie wünschen, Doktor«, sagte ich. »Ich werde nie wieder davon sprechen.«
* * *
Und das tat ich auch nicht. Ich ließ die Sache fallen und habe sie bis heute auch nicht wieder aufs Tapet gebracht. Es wäre außerordentlich schwierig – nein, unmöglich –, jemanden unsterblich zu machen, der die wiedergegebenen Tatsachen ableugnet. Jahre vergingen, und in dem Maße, wie seine Fähigkeiten mit ihnen schwanden, erweiterten sich meine Pflichten, bis sie auch das Abfassen seiner Briefe und Abhandlungen umfassten. Ich rechnete mir meine Bemühungen nicht als Verdienst an und fand auch keine Anerkennung vom Monstrumologen dafür. Grimmig redigierte er meine Arbeit und strich alles, was seiner Ansicht nach den Beigeschmack von dichterischer Zügellosigkeit trug. In der Wissenschaft, sagte
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