Der Morgen der Trunkenheit
Sonst werde ich noch vor Kummer eingehen.« Ich schluchzte und fragte ihn, »Willst du mich nicht ansehen?«
»Nein, ich will deine Tränen nicht sehen.«
Ich lächelte, während mir die Tränen herabliefen, und sagte, »Wie ist es jetzt? Jetzt lache ich doch.«
Er lachte mich an, »Sagte ich nicht, du würdest einen Liebeszauber besitzen?«
Ich träumte, ich würde laufen. Ich rannte durch die Gasse unseres Hauses bis zum Eingang des Basars. Ich trug den Tchador oder auch nicht. Mir standen Tränen in den Augen oder auch nicht. Jemand sah mich an, und doch war niemand da. Keuchend erreichte ich Rahims Geschäft. Der Abend dämmerte. Eine laue Brise wehte. Offenbar war es Frühling. Die Blumen dufteten. Der Duft der Mahbube-ye Shab. Rahim stand im Schatten. Er kehrte mir den Rücken zu. Ich sagte mir, ›Gott sei Dank. Glaubst du nun, daß dualles nur geträumt hast? Ich bin doch nicht mit Rahim verheiratet. Wir wollen erst heiraten. Alles Geschehene war ein Albtraum, ein schrecklicher Albtraum. Rahim steht hier vor mir, unschuldig und nichtsahnend.‹ Leise und sanft wie ein Lufthauch rief ich bittend, »Rahim…« Und meine Stimme dehnte sich wie ein Seufzer.
Ruhig wandte er sich um und kam auf mich zu. Es war nicht Rahim, es war Mansur. Er trat vor, streckte seine Hand nach mir aus und sagte sehnsüchtig, »Bist du endlich gekommen, Koukab? Komm.«
Ich schreckte aus dem Schlaf und erkannte die Wahrheit. Ich sah alles, wie es wirklich war, und akzeptierte es. Ich akzeptierte Mansur und meine eigene Situation. Ich akzeptierte Nimtadjs Schwangerschaft. Die Wahrheit war, daß ich Koukab war. Daß ich die Geliebte der Nacht war. Daß ich mich allmählich in Mansur verliebt hatte und von ihm abhängig geworden war. Daß dies das Schicksal war, das mir auf die Stirn geschrieben stand. Daß mir in diesem Leben nichts Besseres beschieden war.
Nimtadjs Dienerin kam und verkündete mir, obwohl sie wußte, daß ich es bereits wußte, schadenfroh die gute Nachricht von Nimtadjs Schwangerschaft. Ich gab ihr Geld als Belohnung für die frohe Botschaft. Ich belohnte diejenige, die mir das Glück meiner Rivalin verkündet hatte. Für Nimtadj kochte ich Ash Reshte und Katchi. Speisen für die Schwangerschaft. Ich wartete, bis Nimtadj einen weiteren Sohn gebar. Nahid entwickelte sich zu Mansurs Liebling.
Wir verkauften das väterliche Haus, und zwei, drei Jahre darauf fuhr Manuchehr nach Europa. Für meine Mutter kauften wir ein Haus in einem der nördlicheren Viertel der Stadt, und sie zog mit der Amme, die alt und gebrechlich geworden war, um. Nach Manuchehr reiste Mansurs älterer Sohn nach Europa. Er fuhr nach Großbritannien. Ashraf Chanums Sohn hatte die Natur seiner Mutter geerbt. Er war rebellisch. Er hatte nichts Richtiges gelernt. Er verschleuderte sein eigenes Vermögen und das seiner Mutter. Er machte stets Kummer und tut es noch immer. Mansur litt darunter, doch seinen Sohn kümmerte es nicht. Er merkte, daß sich sein Vater um seine Zukunft sorgte, änderte sich jedoch nicht. Dann bekam Nimtadj eine Herzkrankheit. Ihr Zustand verschlimmerte sichvon Tag zu Tag. Je schlechter es ihr ging, desto häufiger scharten sich die Kinder um mich. Wie Küken, die unter meinen Flügeln Zuflucht suchten. Nimtadj rief mich zu sich und übergab die Kinder in meine Obhut. Sie sagte, »Nahid, kümmer dich besonders um Nahid, Mahbub Chanum. Die anderen drei sind Söhne. Die werden sich selbst zu helfen wissen. Nahid ist noch sehr jung. In ein paar Jahren ist es Zeit für sie, zu heiraten. Ohne Mutter…«
Ich sagte, »Nimtadj Chanum, was reden Sie da? Sie haben doch nichts.«
»Nein, wir brauchen keine Ausflüchte zu machen. Hör mir zu. Ich sorge mich über meinen Tod hinaus. Wegen Nahid. Wenn es an der Zeit ist, zu heiraten, kümmer dich wie eine Mutter um sie.«
Ich sagte, »Um ehrlich zu sein, wünsche ich mir, daß Nahid Manuchehrs Frau wird. Ich weiß nicht, ob Sie damit einverstanden sind?«
Manuchehr war in Europa und studierte eifrig. Er war jung. Auf den Fotos wirkte er gutaussehend. Er war vermögend. Ich wußte, daß Nimtadj dieser Heirat nicht abgeneigt war. Dabei stand Nahid Manuchehr in nichts nach. Sie war hübsch, elegant, gebildet und sprach fließend Französisch. Sie konnte gut malen. Sie war sportlich. Mansur hatte sich mit ihr all seine Wünsche erfüllt. Außerdem war sie, was noch viel wichtiger war, ein vernünftiges und freundliches Mädchen. Sie sprach und verhielt sich besonnen. Für mich empfand
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