Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
Vom Netzwerk:
den Jungen, indem er seine riesigen, behaarten Pranken auf die Theke legte und ihn mit einem goldenen und einem silbernen Schneidezahn angrinste. Dabei kam mir zum erstenmal der Gedanke, woher er eigentlich diesen Silberzahn hatte. Komisch, daß ich mir deswegen bisher noch nie Gedanken gemacht hatte. T-Bone war kein Mann, mit dem man viel reden konnte. Er ließ seine Stimme nur ertönen, wenn es absolut nötig war. Er bediente seine Kunden immer mit dem geringstmöglichen verbalen Aufwand.
    »Ich kann doch gar nicht essen«, nörgelte der Kleine, »wenn ich wie ein Häftling angekettet bin.« Seine Augen wurden feucht, und er sah in diesem Augenblick noch schrecklich jung aus.
    »Ich nehm' sie dir ab«, versprach ich. »Und jetzt sag schon, was du willst. T-Bone hat nicht den ganzen Tag Zeit für dich.«
    »Ich weiß nicht, was ich will.«
    »Dann mach ihm ein paar Spiegeleier mit Speck und ein Glas Milch, T-Bone. Willst du auch ein paar Frikadellen, Kleiner?«
    »Ja.«
    »Also gut, und dann noch ein Glas Orangensaft und eine Portion Toast. Am besten gleich eine doppelte Portion Toast. Und ein bißchen Marmelade.«
    T-Bone nickte und nahm eine Handvoll Eier aus einer Schüssel neben dem Herd. Er hielt vier Eier in seiner mächtigen Pranke und brach eines nach dem anderen auf, ohne dabei die andere Hand zu Hilfe zu nehmen. Der Junge beobachtete ihn dabei.
    »Na, das soll ihm mal einer nachmachen, was, Kleiner?«
    »Ja. Sie haben doch vorhin gesagt, Sie würden mir die Dinger da abnehmen.«
    »Steh auf und dreh dich um«, forderte ich ihn auf. Ich schloß seine rechte Handschelle auf und befestigte sie am Tischbein, so daß er zum Essen eine Hand frei hatte.
    »Das nennen Sie, mir die Dinger abnehmen? Jetzt komme ich mir vor wie der Affe von so einem Leierkastenmann.«
    »Wo willst du denn einen Leierkastenmann gesehen haben? Die gibt es doch schon seit Jahren nicht mehr.«
    »Ich habe mal einen im Fernsehen gesehen, in so einem alten Film. Und ich sehe genauso aus wie so ein Affe an der Kette.«
    »Ist ja schon gut – reg dich nicht gleich so auf. Du quengelst ganz schön rum. Sei lieber froh, daß du überhaupt was zum Frühstück bekommst. Ich möchte wetten, daß du heute zu Hause noch keinen Bissen gekriegt hast.«
    »Ich war doch heute morgen nicht zu Hause.«
    »Wo warst du denn dann die ganze Nacht?«
    Mit seiner schmutzigen rechten Hand strich er sich ein paar widerspenstige Locken aus den Augen. »Ein paar Stunden habe ich in einem von diesen Kinos geschlafen, die nachts geöffnet sind. Aber dann hat mich so ein Dreckskerl aufgeweckt, der mir die Hand so komisch aufs Knie gelegt hat. Da bin ich nichts wie abgehauen. Und dann habe ich noch ein bißchen in so einem Hotel in einem Sessel geschlafen, wo gerade niemand aufgepaßt hat.«
    »Bist du denn von zu Hause weggelaufen?«
    »Nein, ich hatte gestern nur keine Lust, zu Hause zu schlafen. Meine Schwester war nicht zu Hause, und da hatte ich keine Lust, ganz allein rumzusitzen.«
    »Du lebst bei deiner Schwester?«
    »Ja.«
    »Und wo sind deine Eltern?«
    »Hab ich keine.«
    »Und wie alt ist deine Schwester?«
    »Zweiundzwanzig.«
    »Also nur du und sie, wie?«
    »Nein, meistens hängt bei uns auch noch irgend so ein Typ rum. Der jetzige heißt Slim. Big Blue hat fast immer irgendeinen Typen.«
    »Du nennst deine Schwester Big Blue?«
    »Sie war mal Tänzerin, in einer Bar. Oben ohne. Und so hat sie sich damals immer genannt. Inzwischen ist allerdings ihr Arsch ein bißchen zu fett. Sie bedient jetzt im Chinese Garden drüben auf der Western. Kennen Sie die Bar zufällig?«
    »Ja, natürlich.«
    »Na ja, jedenfalls meint sie immer, wenn sie nur dreißig Pfund abnehmen würde, könnte sie wieder zu tanzen anfangen. Aber das ist natürlich ein Witz, weil ihr Arsch von Tag zu Tag fetter wird. Sie mag es, wenn man sie Big Blue nennt. Deshalb hab ich auch angefangen, sie so zu nennen. Wissen Sie, sie hat sich ihr Haar so schwarz gefärbt, daß es fast blau aussieht.«
    »Sie sollte dir lieber mal deine Sachen waschen. Dein Hemd sieht ja aus wie der letzte Scheuerlappen.«
    »Nur, weil ich gestern unserem Nachbarn geholfen habe, seinen Wagen zu reparieren.« Meine Rüge schien ihn beleidigt zu haben. »Ich konnte es inzwischen bloß noch nicht wechseln. Ich habe sonst immer anständige Sachen an, und ich wasche und bügle sie mir sogar selbst.«
    »So finde ich es richtig.« Ich schloß ihm auch die andere Handschelle auf.
    »Sie nehmen sie mir doch ab?«
    »Ja.

Weitere Kostenlose Bücher